BALDUR


 
   

GÖTTER

   
 


 

 

Kontakt

Home

Galerie

MET

GEDICHTE

GÖTTER

RUNEN

RUNENLIED DES ODIN

germanisch – heidnische Vornamen

ALTDEUTSCHE VORNAMEN

KALENDER

BRÄUCHE

Gästebuch

 


     
 

Wer sind die Götter
 

Wer sich mit heidnischen Göttern beschäftigt, muß sich von Vorstellungen über Göttlichkeit, wie sie das Christentum lehrt, gründlich befreien. Ein Gott im Heidentum ist kein abstraktes, jenseitiges, ewiges, allmächtiges Wesen, das über der Welt schwebt und sie von außen regiert, kein "reiner Geist" und keine moralische Instanz, die ausschließlich das sogenannte Gute verkörpert, kurz: kein Gegenkonzept zur Natur, wie es viele Lehren aufstellen, sondern das Göttliche in der Natur, nicht "ganz anders", sondern eins mit der Welt. Eine heidnische Gottheit ist ein konkreter Aspekt des Geistes, der die Wirklichkeit dieser Welt durchwebt, mit ihr lebt und stirbt, in ihr wirkt und sich entfaltet: kein abstrakter, ewiger Geist, sondern ein lebendiger.
 

Der Große Geist des weißen Mannes
 

Unsere heidnischen Brüder in Amerika, die Indianer, nennen diesen Geist des Göttlichen in der Natur, der sich ihnen in der Vielzahl der Geister (spirits) und Gottheiten zeigt, den "Großen Geist" oder, exakt übersetzt, das "Große Geheimnis" (Manitu, Orenda oder Wakan Tanka). Als die weißen Missionare kamen, gaben sie ihren Gott als den Großen Geist aus, aber sie hatten ihn in enge Lehren gezwängt und ihm dadurch das Wichtigste genommen: das Geheimnis. "Der weiße Mann kennt den Großen Geist nicht", sagen deshalb die Indianer. Aber darin irren sie sich.
 

Die Germanen, berichtet Tacitus, "benennen mit den Namen der Götter jenes Geheimnis (secretum illud), das sie in einziger Ehrfurcht schauen". Das ist fast wörtlich das "Große Geheimnis" der Indianer! Die native Europeans kannten den "Großen Geist" sehr wohl, bevor auch ihnen fremde Missionare einredeten, er wäre ein einzelner Gott – und sogar seinen Namen stahlen! Denn "Gott", gotisch goth (goþ), ist ursprünglich ein sächliches Mehrzahlwort und bedeutet eben jenes Geheimnis, das wir in den Göttern verehren.
 

Das Göttliche und die einzelnen Götter
 

Goth nannten unsere Vorfahren nur das Göttliche als Ganzheit. Die einzelnen Gottheiten, in denen es sich manifestiert, wurden teiwar oder ansis genannt. Teiwar (Einzahl teiwaz) ist dasselbe Wort wie das lateinische di und bedeutet "Lichtwesen". Ansis (Einz. ansuz) hängt vielleicht mit indisch asu (Lebenskraft) zusammen, sicher aber mit germanisch ans (Pfahl), denn die Götter wurden vor einfachen Holzpfählen mit angedeuteten Gesichtszügen verehrt. Diese Pfähle waren keine Götterbilder, sondern deuteten nur an, daß eine Gottheit anwesend ist. Aus ansis ist der nordische Name Æsir (Asen) entstanden. Er kann daher nicht nur für die Götter dieses Stamms, sondern für "Götter" im allgemeinen verwendet werden, auch wenn wir Asen und Vanen meinen.
 

Die Ganzheit der Götter
 

Wenn man sich zu sehr auf einen einzelnen Gott konzentriert, vergißt man leicht, daß er nicht das ganze Göttliche ist. Deshalb verehren wir immer alle Götter gemeinsam, wie es im dänischen Mythos Odin angeordnet hat. Ihre Ganzheit, in der sie wirken, wird mythisch durch das Götterthing dargestellt, in dem sie ihr Handeln demokratisch beraten. Daher heißen sie in der Edda regin, altdeutsch regan, die Beratenden.
 

Die beiden Pole der Gotteserfahrung
 

In den Mythen begegnen wir den konkreten Einzelgestalten der Götter, in den Riten steht ihre Ganzheit, jenes Geheimnis (goth), im Mittelpunkt. So bewegt sich die heidnische Gotteserfahrung immer zwischen diesen beiden Polen: Goth und Ansis, unbenanntes Geheimnis und konkrete Gestalt. Beide Erfahrungsweisen sind wichtig, gehören zusammen und ergänzen einander. Beide sind wahr, aber keine ist die ganze Wahrheit. Nur in der Zusammenschau kommen wir ihr nahe.
 

Mit Göttern kommunizieren
 

Vielen Menschen fällt es leichter, das Göttliche als Geheimnis zu verehren, das man sich nicht konkret vorstellen kann. Es genügt ihnen zu wissen, daß es existiert. Bei Göttern wollen sie genau wissen, was sie sind: selbständig existierende Geistwesen? Persönlichkeiten des Großen Geistes? Gesichter, die er uns zeigt? Auch im Heidentum gibt es viele verschiedene Ansichten darüber, die für den Verstand nützlich, aber nur Vorstellungen und nicht die Wahrheit selbst sind. Denn wenn sie – auf welche Art auch immer – eins mit dem Großen Geheimnis sind, dann sind die Götter, auch wenn sie noch so konkret erscheinen, letztlich ebenso geheimnisvoll und nichts, worüber man endgültig und eindeutig Bescheid wissen kann. Das ist aber auch gar nicht so wichtig. Religion, Spiritualität oder Magie ist nicht Philosophie über das Göttliche, sondern Kommunikation mit ihm, und dazu ist es nicht nötig zu wissen, was es ist, mit dem du redest. Du mußt nicht einmal an Götter glauben. Selbst wenn du sie nur für Symbole des Geheimnisses hältst, kannst du von ihnen viel erfahren und über sie "zum Großen Geist sprechen".
 

Götter in Mythos und Kult
 

Viele Gottheiten kommen in den Mythen vor, wurden aber nie kultisch verehrt. Man tut daher gut daran, sich nur mythisch mit ihnen auseinanderzusetzen, also in Dichtung und Erzählung, und nicht auch irgendwelche Riten für sie zu ersinnen oder viel über ihr Wesen zu grübeln. Was immer sie sind, sie gehen uns offensichtlich nur als mythische Gestalten etwas an. Das ist die Art, in der sie unser Bewußtsein erreichen und erweitern können. Es ist sinnvoll, sich mit möglichst vielen Gottheiten auseinanderzusetzen, wie der Runenmagier Jan Fries sagt: "Je mehr Götter du in dein Leben integrierst, desto umfassender wird die Welt, die du erlebst."
 




Der Anfang
 

Am Anfang waren Kälte und Hitze
 

Auf der einen Seite stand NIFLHEIM (Nebelheim) mit Frost und Nebel. Auf der anderen Seite MUSPELLSHEIM, ein Meer aus Hitze und lodernden Flammen. Zwischen ihnen war nichts. Nur eine große, gähnende Schlucht, GINNUNGAGAP. In dieser gewaltigen Leere ­ zwischen Licht und Dunkel ­ sollte der Anfang allen Lebens entstehen. In der Begegnung zwischen Eis und Feuer... Denn langsam begann der Schnee zu schmelzen, und geformt von der Kälte, aber von der Hitze zum Leben erweckt, entstand ein seltsames Wesen ­ der Frostriese YMIR. Ein größerer Riese hat nie gelebt. An den Stellen, an denen das Eis schmolz, formten die Tropfen noch ein anderes Wesen ­ eins mit Euter und Hörnern, eine riesige Kuh. Sie hieß AUDHUMLA. Überreichlich ergoß sich Milch aus ihren gewaltigen Zitzen. YMIR wurde durch sie genährt. Aber was ernährte AUDHUMLA? Sie beleckte die herumliegenden Eisblöcke, die salzig waren. Dann aber geschah etwas Merkwürdiges: Als sie die Blöcke beleckte, kam aus einem von ihnen plötzlich langes Menschenhaar hervor! Am nächsten Tag kamen ein Kopf mit einem Gesicht hervor! Und am dritten Tag legte sie beim Lecken den ganzen Körper frei... Es war ein Mann.

Er war hochgewachsen und schön. BURI war sein Name - und von ihm stammen die Götter, die wir ASEN nennen. Der Riese YMIR bekam Kinder mit sich selbst. Im Schlaf begann er zu schwitzen und da wuchs ihm unter seinem linken Arm Mann und Weib. YMIRS Beine taten es seinen Armen nach... seine Füße paarten sich und ein Sohn mit sechs Köpfen wurde geboren. Das ist der Ursprung der Geschlechter der HRIMTHURSEN, die wir Trolle und Riesen nennen können. Oder auch JÖTEN. Lange herrschte Friede unter den ungleichen Geschöpfen und sie bekamen Kinder miteinander... ODIN ­ das spätere Oberhaupt aller Götter ­ ist der Sohn der Riesen-Tochter BESTLA und von BUR, dem Sohn von BURI. Aber eines Tages begehren Odin und seine Brüder ­ WILI und WE ­ gegen YMIR und dessen Geschlecht ,auf. Ein harter Kampf entbrennt, den Odin und seine Brüder schließlich siegreich beenden. Sie töten den Urriesen YMIR ­ Ströme von Blut ergießen sich aus seinen Wunden . Nahezu alle Feinde der Asen kommen in diesen Fluten um. Alle, bis auf zwei. Von diesem Riesen-Paar, das in die Nebelwelt flüchtet und sich dort versteckt, stammen alle HRIMTHURSEN-Geschlechter ab...

Auch AUDHUMLA ­ die erste Kuh ­ muß in den Abgrund hinuntergespült worden sein, denn später hat niemand von ihr gehört oder sie gar gesehen... Die ASEN schleppen den toten YMIR bis in die Mitte der Schlucht GINNUNGAGAP ­ in die große Leere. Dort verschließen sie mit ihm den Abgrund. Damit erschaffen sie die Welt - aus der Leiche des Riesen. Sein Blut wird zum Meer. Sein Fleisch zur Erde. Seine Gebeine werden zu Gebirgen und Klippen. Die Zähne und zersplitterte Knochenreste werden zu Steinen und Geröll. Die Haare zu Bäumen und Gras. Sein Gehirn werfen die Götter hoch in die Luft. Auf diese Weise entstehen dieWolken. Der Himmel entsteht aus seiner Schädeldecke..., die sie wie ein Gewölbe über alles Erschaffene stülpen. Danach fangen die Götter Funken aus dem heißen MUSPELLSHEIM ein und setzen sie an den Himmel. Dort funkeln sie jetzt als Sterne. Aus YMIRS Leiche kriechen kleine Würmer hervor. Diese sind der Ursprung der Zwerge, der Unterirdischen, die in Grotten und Höhlen hausen. Die Asen wählen vier von ihnen, die das Himmelsgewölbe tragen. Sie bewachen die vier Ecken der Welt. Diese Zwerge heißen: OSTEN,WESTEN,NORDEN und SÜDEN. So bekommt alles Ziel und Sinn. Als ODIN und seine Brüder WILI und WE einmal am Meeresstrand entlanggehen, finden sie zwei an Land gespülte Baumstämme. Sie nehmen die Stämme und schaffen Menschen daraus.

ODIN ist es, der ihnen Leben einhaucht, so daß sie selbst atmen und leben können. WILI gibt ihnen Verstand und Bewegung. WE gibt ihnen Antlitz, Sprache, Gehör und Gesicht. Sie geben ihnen Wärme und Farbe. Aus den Treibholzstämmen wurden Mann und Frau. Die Asen geben dem Mann den Namen ASK ("Esche") und der Frau den Namen EMBLA (vielleicht "Ulme" oder "Rebe"). Von ihnen stammen alle Menschen ab. Am Anfang gab es keine Zeit. Alles steht seltsam still. Allerdings bekommen die Riesen-Frau NACHT und ihr Sohn TAG jeweils ein Pferd und einen Wagen von den ASEN geschenkt - und von nun an sollten sie am Himmel stehen, so daß sie jeden Tag und jede Nacht um die Welt fahren können. NACHT fährt weit vor ihrem Sohn. Ihr Pferd heißt RIMFAKSE. Rauhreif klebt an der Mähne, und der Tau, der sich jeden Morgen auf Felder und Wiesen herabsenkt, sind Schaumtropfen aus seinem Zaumzeug. Hinter ihr fährt ihr Sohn TAG. Sein treues Pferd heißt SKINFAKSE, denn aus der Mähne des Pferdes strahlt und leuchtet es...

MUSPELLSHEIMs Funken sind auch der Ursprung der Sonne. Der Mond hat jetzt ebenfalls seine richtige Bahn bekommen. Auch den beiden Gestirnen hat man je einen Himmelswagen gegeben. Zwei Kinder haben die Aufgabe, darauf zu achten, daß Sonne und Mond nicht von ihren Wagen fallen ­ außerdem sind sie die Lenker der schnellen Pferde . Und die Schnelligkeit der Zugpferde ist auch bitter nötig, denn zwei riesige Wölfe sind ihnen ständig auf den Fersen; sie schnappen nach der Sonne, dem Mond und wollen sie verschlingen! Irgendwann ... irgendwann einmal wird es ihnen vielleicht gelingen... Was ist nun mit der Erde selbst? Die Erde ist rund - aber nicht wie ein Apfel oder ein Ball. Die Welt hat die Form eines Kreises... eine dünne, flache Scheibe, wie abgeschnitten vom Ende eines Stücks Holz. Zu Beginn der Zeiten war alles Urwald und Einöde. Die ASEN erwiesen sich allerdings als Pioniere. Sie schufen Lebensraum für sich selbst und uns Menschen. Die Götter gaben der Wohnstätte der Menschen den Namen: MIDGARD, da sie mitten in der Welt liegt. Im Zentrum von MIDGARD bauten die Götter ­ damit die Menschen sich nicht allein und verlassen fühlen sollten ­ für sich selbst einen gewaltigen Wohnsitz: ASGARD ­ eine mächtige Götterburg,beschützt von dicken Mauern. Der Weg nach der Burg Asgard führt nur über eine Regenbogenbrücke, die später von

HEIMDALL bewacht wurde . MIDGARD umgaben sie ebenfalls mit einem Schutzwall - denn außerhalb, im Wilden und Unbekannten, herrschen Dunkelheit und unheimliche Kräfte. Hier ­ in UTGARD und JÖTUNHEIM (Riesenheim) wohnen Riesen (Jöten) und Trolle. So ordnete die
Hand der Götter die Welt; wie die Jahresringe eines Baums. Und ganz weit draußen ­ an allen Kanten ­ wogt das große Weltmeer. Auch ZWERGE und ELFEN bekamen ihre Wohnstätte. Die ZWERGE hausen gewöhnlich in Felswänden und zwischen Felsblöcken, häufig auch im Innern der Erde. An versteckten Orten in MIDGARD und UTGARD. Ihre Tüchtigkeit ist weithin bekannt,ebenso ihre großartige Schmiedekunst. Jedoch ihnen zu trauen kann gefährlich werden... Ganz anders verhalten sich die ELFEN, sie sind sowohl Göttern als auch Menschen freundlich gesinnt. ALFENHEIM ist ihre Heimat. Einige meinen, ALFENHEIM liege innerhalb der Mauern von ASGARD; andere meinen, es sei MIDGARD zugehörig . Es herrscht große Unsicherheit über ZWERGE und
 

ELFEN. Es wird sogar behauptet, daß sie zum selben Geschlecht gehören. Sie sollten "LICHTALFEN" und "SCHWARZALFEN" genannt werden.
Einst gab es noch ein anderes Göttergeschlecht,das neben den ASEN existierte ­ WANEN wurden sie genannt. Sie wohnten in WANAHEIM. Doch ihre Burg wurdetotal vernichtet und kein Mensch kennt heute diesen Ort... Das Zentrum der Welt? Mitten in MIDGARD liegt ASGARD - und mitten in ASGARD pflanzten die Götter einen "Hofbaum" , eine riesige Esche, genannt YGGDRASIL. Ihre Wurzeln verteilen sich über die Länder. Eine liegt in ASGARD, eine in RIESENHEIM und eine dritte in NIFLHEIM. Ihre Zweige überschatten die ganze Welt . YGGDRASIL ist das Zentrum der Welt ­ und solange der Baum grün ist und fruchtbar und neue Triebe trägt ­ so lange wird die Welt bestehen.
 

In unmittelbarer Nähe einer Quelle in ASGARD leben drei Schicksalsgöttinnen - URD, WERDANDI und SKULD. Sie wurden mit dem Namen NORNEN belegt. Die NORNEN kennen das Schicksal eines jeden lebenden Wesens. Sie sehen voraus wie es jedem ergehen wird. Manche meinen, es gebe auch unter ELFEN und ZWERGEN, ebensolche NORNEN. Selbst unter den Menschen gebe es Frauen, die mehr sehen als andere. Eine solche Seherin heißt WÖLVA, was "Stabträgerin" bedeutet. Ihr Stab ist Symbol für ihre übernatürlichen Kräfte. Im Zustand der Trance kann eine WÖLVA mit der Geisterwelt Verbindung aufnehmen. Auch kennt sie zahlreiche wirkungsvolle Zauberlieder.ODIN ist der wichtigste der Götter. Er ist weise und ein mächtiger Zauberer ; er ist der König der ASEN. Der Mittwoch ist sein Tag (norw.: onsdag - Odins Tag). Seine Frau heißt FRIGG (oder FRIGGA), und ihr Tag ist der Freitag (norw.: fredag - Friggs Tag). Sein achtbeiniges Pferd heißt SLEIPNIR. Zwei Raben - HUGINN und MUNINN - dienen ODIN als Berater. Jeden Morgen fliegen sie über die Welt, um zu sehen und zu hören, und am Abend kommen sie heim, um Odin alle Neuigkeiten zuzutragen. Sein Speer heißt GUNGNIR; er trifft jedes Ziel. VonODINS Ring - DRAUPNIR (Träufler) - tropfen jede neunte Nacht acht gleich prachtvolle Ringe ab.
ODIN ist auch als der Einäugige bekannt, denn sein zweites Auge gabe er dem Riesen MIMIR als Pfand, um aus der wunderbaren Quelle der Weisheit trinken zu dürfen, die MIMIR bewachte.(Später wurde MIMIR enthauptet; ODIN aber fand das blutige Haupt des Riesen und salbte es mit heilenden Kräutern. Die Augen öffneten sich und der Mund konnte wieder Worte formen. Seitdem war MIMIRs Kopf einer der besten Berater Odins...)

Der Sohn des ODIN: THOR ist der zweitmächtigste der Götter. Der Donnerstag (norw.: torsdag ­ Thors Tag) ist nach ihm benannt. THORs enorme Stärke und Hitzigkeit führen dazu,daß er jede Möglichkeit nutzt, um mit Riesen oder Trollen einen Kampf auszufechten. Obwohl TYR
(norw.: tirsdag ­ Tyrs Tag; der Mutigste der ASEN!!) ihn vielleicht an Mut übertrifft, gibt es auf der ganzen Welt niemanden, der sich mit THOR messen könnte. Der mächtige Kriegshammer ­ MJÖLLNIR ­ ist die gefährlichste Waffe im Himmel und auf Erden. THOR kann ihn so klein
oder so groß machen, wie es ihm beliebt. Wirft er den Hammer, trifft dieser alles, was der Gott anvisiert und ­ kehrt immer in seine Hand zurück. Wenn den Donnergott die Reiselust ergreift, spannt er riesige Böcke vor seinen Streitwagen. Diese Böcke können abends geschlachtet worden sein und doch sind sie am nächsten Morgen wieder lebendig!! ­ Man achte allerdings genau darauf, beim Essen keinen einzigen ihrer Knochen zu brechen und alle Reste zu sammeln und sie nach Beendigung des Mahles wieder in ihr Fell zurückzulegen. Wenn THORS Wagen am Firmament entlangfährt, dann herrschen Blitz und Donner auf der Erde ­ (Thor = Donar = Donner). SIF heißt seine Frau. Ihr Haar ist aus Gold, und von allen ASINNEN kann nur die Liebesgöttin FREYJA ihre Schönheit übertreffen. FREYJA ist es auch, die die ASEN das Zaubern lehrte. Sie besitzt ein magisches Falkengewand, dank dessen sie sich jederzeit in den Raubvogel verwandeln kann; ihren Wagen läßt sie mit Vorliebe von einer Meute Katzen ziehen. Jeder, der in Liebesdingen Rat und Trost sucht, wendet sich an FREYJA. Aber sie kann nicht helfen, denn die Liebesgöttin selbst ist für alle Zeit und Ewigkeit mit Liebeskummer behaftet! Ihr eigener

Ehemann hat sie verlassen und ist seiner Wege gegangen (niemand weiß, wohin). FREYJAs bittere Tränen um ihn sind jedesmal aus reinstem Gold... Ihr Bruder heißt FREY. Das bedeutet "der Herr" oder "der Vornehmste". Er ist der Gott der Fruchtbarkeit. Eigentlich stammen sowohl er als auch FREYJA aus dem Geschlecht der WANEN (sie verloren den Kampf mit den ASEN um die WELT). Das Geschwisterpaar kam ursprünglich, zusammen mit seinem alten Vater, als Geiseln zu den ASEN... FREY ist Eigentümer des phantastischen Ebers mit den goldenen Borsten, GULLINBORSTI - er kann sich zu Lande, zu Wasser und in der Luft gleich gut bewegen! Weiterhin besitzt der Gott der Fruchtbarkeit das magische Schiff SKIDBLADNIR, das immer nur in achterlichem Wind segelt und das man nach Verwendung wie ein Tischtuch zusammenfalten und in einen Beutel stecken kann. In ASGARD gibt es noch hunderte anderer, herrlicher Schätze; am kostbarsten sind wohl die magischen Äpfel, deren Hüterin die Göttin IDUN ist - die Äpfel der ewigen Jugend, von denen die Götter hin und wieder ein Stück essen müssen, um nicht alt und gebrechlich zu werden.
 

ODIN hat viele Söhne. Es ist sinnlos sie alle zu nennen. Jedoch HEIMDALL muß erwähnt werden. Vor Urzeiten wurde er auf wunderbare Weise von neun (!) Riesen-Mädchen geboren und ist der Wächter der Götter. Er wohnt am Himmelsberg und hütet BIFRÖST(die Regenbogenbrücke nach ASGARD). HEIMDALL benötigt weniger Schlaf als ein Vogel; er sieht nachts ebenso gut wie am Tage und sein Gehör ist einzigartig gut... Auch befindet sich das Horn GJALLARHORN in seiner Obhut, in das er am letzten Tag blasen soll, um die Asen zum allesentscheidenden Kampf gegen Trolle und dunkle Mächte zu den Waffen zu rufen. BALDER ist der Sohn von ODIN und FRIGG. Er wird gerühmt für seine Freundlichkeit, Milde und Klugheit. BALDER hat oft Alpträume und fürchtet sich zu zu sterben; doch dank seiner
 

Mutter - die mächtigste aller Göttinnen von ASGARD ­ schwören alle belebten Wesen und unbelebten Dinge, daß sie ihm niemals etwas antun werden. In ASGARD vergnügen sich die Götter nun damit, spielerisch auf BALDER zu schießen, da er ja weder getötet noch verwundet werden kann. FRIGG hatte jedoch den Mistelzweig vergessen ­ er schien ihr zu klein und schwach . Dies wird dem Gott der Listen - LOKI - zugetragen, und hinterlistig verleitet er den blinden HÖD (oder HODER) dazu, BALDER mit einem Pfeil (aus Mistelholz gefertigt) zu erschießen.Nunwerden berittene Boten ins Totenreich gesandt, damit sie um BALDERs Rückkehr bitten. HEL, die Königin des Totenreichs sagt, wenn die ganze Welt um BALDER weine, solle er wieder ins Leben zurückfinden. Und alle Dinge und alle Wesen ­ selbst Steine und Bäume ­versuchen (vergeblich), den Toten ins Leben zurückzuweinen.
Die Feinde der Götter sind die HRIMTHURSEN oder Trolle und Riesen (Jöten). Sie leben in UTGARD und JÖTUNHEIM - in der Einöde und im rauhen Gebirge. Sie sind die Kräfte des Chaos.Ihre enormen Körperkräfte und ihre gewaltige Gestalt machen sie zu gefährlichen Gegnern der Bewohner ASGARDS. Nur der Donnergott THOR ist ihnen wirklich gewachsen.
 

Die RIESEN aber sind wie niemand sonst der Zauberkünste mächtig. Einmal schufen sie aus Lehm einen mächtigen Giganten ­ ein künstliches lebendes Wesen mit furchterregendem Aussehen ­ neunzig Meilen groß und mit dreißig Meilen Brustumfang!
Die JÖTUN-Frauen werden RIESINNEN genannt. Auf Wölfen, deren Zaumzeug aus Kreuzottern besteht, reiten sie umher. Sie können häßlich sein wie die Nacht und echte Monstren, aber sie können auch unglaublich schön sein... und so herrlich, daß selbst ODIN sich mehr als einmal zur Brautwerbung und wilden Liebesabenteuern hat verlocken lassen.
Eigentlich aber sind wohl LOKI und seine Kinder weit gefährlicher!! LOKI ist der
Unruhestifter und Intrigant. Geboren als ein Riese, vermischte sich alllerdings in jungen Jahren sein Blut mit dem ODINs. So kam es, daß er in den kreis der ASEN aufgenommen wurde. LOKI ist ein Scherzbold, der am Ende jedoch seine Strafe bekommt . Er verrät die Götter ASGARDs und er zeigt sich auch für BALDERs Tod verantwortlich. Dafür wird er bestraft, indem er gefesselt wird - mit einer Schlange über sich, die giftigen und ätzenden Eiter auf sein Gesicht tröpfelt. Seine Frau SIGYN steht ihm treu zur Seite und geduldig hält sie eine große Schüssel ,
die den tödlichen Eiter auffangen soll. Ab und zu aber muß sie sich entfernen, um die Schüssel zu leeren. Dann tropft der giftige Eiter direkt auf LOKIs Gesicht, und er schüttelt den Kopf so stark, daß die ganze Erde bebt. Das ist es, was man Erdbeben nennt. LOKI hat Kinder in ASGARD. Außerdem aber hat er andere und dabei seltsamere Sprößlinge. Die Riesin ANGRBODA gebar ihm den FENRISWOLF, die MIDGARD-Schlange JÖRMUNGUND und HEL (Göttin des Totenreichs). Und mit dem Hengst SWADILFARI wurde er Mutter (!) des Pferdes SLEIPNIR.
 

Der FENRISWOLF ist ein Monstrum von einem Wolf. Er wuchs in ASGARD auf, wurde aber sehr bald riesengroß,wild und er verfiel dem Wahnsinn, so daß nur der Gott TYR (der Mutigste unter den Göttern) es wagte, ihn zu füttern. Die Zwerge erhielten den Auftrag ,in Maßarbeit eine Fessel herzustellen, wobei sechs Bestandteile Verwendung finden sollten: der Schall des Katzentritts, der Bart der Frauen, die Wurzeln der Berge, die Sehnen der Bären, der Atem der Fische und der Speichel der Vögel (deshalb haben die Katzentritte keinen Schall mehr, die Frauen keinen Bart usw.). Und mit List gelang es ihnen, den Wolf so fest zu fesseln, daß er sich kaum bewegen konnte, und es wurde ihm ein Schwert in den Rachen gesteckt, so daß er nur bewegungslos dasteht mit weit aufgerissenem Rachen, ohne zubeißen zu können. Erst am Weltenende wird er sich endlich losreißen... LOKIs zweites Kind war eine Schlange. Die Götter warfen sie ins Meer, wo sie mit der Zeit so unglaublich groß wurde, daß man sie von da an MIDGARD-Schlange nannte ­ da sie die ganze Menschenwelt umgibt und sich selbst in den Schwanz beißt.

Dennoch fragt es sich, ob nicht das letzte der drei Kinder von LOKI und ANGRBODA Asen und Menschen den größten Kummer bereitet hat. die Rede ist von einem unheimlichen Mädchen ­ halb weiß, halb schwarz. Aus ASGARD wurde HEL verstoßen und so ließ sie sich hoch im Norden nieder. Hier schuf sie ein unterirdisches Totenreich ­ eine graue, kalte, feuchte Welt. HEL ist ihr Name und HEL wird auch das Totenreich benannt. Nach HEL kommen alle, die an Krankheit oder Altersschwäche sterben. Hier "leben" sie ein geborgenes "Schattendasein". Die
 

Todeskönigin selbst erinnert an einen Kadaver, und all ihr Hab und Gut trägt Namen, die an das kalte "Leben" im Grab denken lassen. Wenn man in alten Zeiten meinte, "Wiedergänger" gingen um, hieß es häufig: "Die Pforte zur HEL (Hölle) ist offen." Am letzten Tag werden HEL und ihr Heer von Toten gegen die ASEN kämpfen.
Diejenigen, die sich auf dem Schlachtfeld tapfer schlagen, kommen nach dem Tod zu ODIN oder FREYJA. WALKÜREN oder "Kampfjungfrauen" werden die mit Brünnen bekleideten Frauen genannt, die der Götterkönig ausschickt, um solche gefallenen Helden zu holen.
Die WALKÜREN sind schwer bewaffnet und können durch die Luft reiten. ODIN und FREYJA teilen die Krieger unter sich auf. Die eine Hälfte kommt zu ODIN nach WALHALL
 

(VALHALLA) und die andere Hälfte zu FREYJA nach VOLKWANG. Über VOLKWANG und die dortige Lebensweise ist nicht viel bekannt. Demgegenüber stehen viele Berichte über WALHALL. Auf dem Festungswall dieser riesigen "Kaserne" dürfen die Helden sich den ganzen Tag lang nach Lust und Laune schlagen, und es spielt keine Rolle, ob sie einen Arm oder zwei verlieren, denn am Abend erheben sie sich wieder unversehrt und im Besitz aller ihrer Glieder. Als Freunde und in gütlichem Einvernehmen ziehen sie in den mächtigen Festsaal ein, wo schöne WALKÜREN ihnen Met einschenken und gekochtes Schwein servieren. Und das Schwein selbst, das sie verzehren, ist ziemlich einmalig. SÄHRIMNIR wird jeden Tag geschlachtet und verspeist, aber am Abend ist es wieder lebendig. Am Tag des RAGNAROK wird ODIN ASEN und tote Helden in den letzten großen Kampf gegen Riesen und die Mächte der Finsternis führen. Er selbst wird gegen den FENRISWOLF kämpfen ­ und die Bestie wird ihn verschlingen. So die Weissagung.
 

Daher muß man die Frage stellen: Können Götter sterben?? Ja, Götter können sterben und die Welt wird zugrunde gehen. Gegen Ende der Zeit werden Mangel und Unfrieden herrschen. Diese Zeit nennt sich RAGNAROK ("Weltuntergang"), d. h., "die Zeit, in der sich alle Mächte auflösen". Brüder fallen einander in den Rücken, und der Sohn verschont seinen eigenen Vater nicht. Danach werden drei Jahre kommen, die nur ein einziger langer Winter sind, genannt FIMBUL. Gebirge stürzen ein, und alle Fesseln werden reißen. Anschließend werden Himmel-Wölfe Sonne und Mond verschlingen. Dabei wird auch der FENRISWOLF endlich freikommen. Er wird mit weit aufgesperrtem Rachen durch die ganze Welt laufen. Dabei berührt sein Unterkiefer die Erde, sein Oberkiefer den Himmel. In seinen Augen brennt Feuer, und aus seinen Nasenlöchern züngeln Flammen. Auch LOKI wird freikommen. Er wird ein unheimliches Schiff auftakeln ­ NAGLFAR, das Schiff, das aus den ungeschnittenen Nägeln toter Menschen gebaut ist. Mit zerfetzten Segeln und einer Besatzung aus verwesten Leichen wird LOKI mit diesem Schiff das Totenreich seiner Tochter verlassen... Und die Midgardschlange wird sich aufs Land wälzen. Im Süden birst der Himmel. Und aus dem Land dahinter ­ dem unbekannten und bedrohlichen MUSPELLSHEIM, dem Feuerland, das lange bevor ODIN und seine Brüder die Welt erschufen existierte ­ kommt ein gewaltiges Heer von glänzenden Reitern.

Sie wirbeln Flammenschwerter herum. Wo sie heranstürmen, wird alles in Brand gesetzt. Und die große Regenbogenbrücke stürzt ein unter ihrem Gewicht... An der Stelle, die WIGRID-Wall heißt (hundert Meilen breit und hundert Meilen lang) wird die letzte entscheidende und blutige Schlacht stattfinden,in der ODIN vom FENRISWOLF verschlungen wird. THOR und die MIDGARDSCHLANGE töten sich gegegseitig. HEIMDALL und LOKI ebenso. Die ganze Welt brennt. Selbst YGGDRASIL ­ der große Weltenbaum ­ steht in Flammen. Wenn der Feuersturm sich ausgetobt hat, ist die ganze Welt eine qualmende Brandstätte. Die verbrannten Reste versinken im Meer und verschwinden. Ist das das Ende? Nein. Aus dem Meer wird sich eine neue Erde erheben, grün und wunderbar. Fruchtbar wie ein Traum. Mit Feldern, die ungesät Früchte tragen. Mit Fisch und Wild im Überfluß. Niemand soll mehr hungern. Denn siehe! Die Sonne hat eine Tochter geboren. Alles Übel hat ein Ende genommen! Die Erde ist reingewaschen. Ein neues Leben kann beginnen! ASGARD ist verschwunden. Die Götterburg wurde bis auf die Grundmauern niedergebrannt.

Trotzdem versuchen sie, hierher zurückzukommen ­ die ASEN, die im letzten großen Kampf nicht fielen... Es gibt also Überlebende!!! Die Zufälligen ­ diejenigen, die die Erde erben sollen. Gibt es auch Menschen unter ihnen? Ein einziges Menschenpaar hat überlebt. Sie heißen LIV und LIVTRASE. Sie suchten Zuflucht an einem Ort, an dem der Feuersturm vorbeiraste, ohne sie aufzuspüren.
Und das Meer gab sie lebend zurück. Lange Zeit hatten sie sich nur vom

Morgentau genährt. Von diesen beiden wird ein neues Menschengeschlecht kommen...
Es gibt also Hoffnung - trotz allem? Die Mythen sagen uns, daß es immer Hoffnung gibt.
Auch wenn Götter sterben!!!!!! Oder vielleicht erst dann!!!!!!!!
Meine Fassung der Geschichte der nordischen Götter basiert auf einem Artikel des Schriftstellers:

Tor Åge Bringsværd (geb. 1939)

Mythologie
 

Einleitung in die Nordische Mythologie

Die nord- und osteuropäische Mythologie verbindet man im wesentlichen mit zwei Hauptgruppen, nämlich mit den Völkern germanischer und slawischer Abstammung.

Zur ersten Gruppe zählen Deutsche, Niederländer, Dänen, Schweden, Norweger, Isländer, Engländer und alle mit ihnen verwanden Völkern, während sich die zweite Gruppe aus Russen, Serben, Kroaten, Bulgaren, Rumänen, Slowaken und Polen zusammensetzt.

Auch andere haben zur mythologischen Tradition dieser Region beigetragen, wie z.b. die entlang der Ostseeküste angesiedelten Völker: Preußen, Litauer und Letten. Geht man weiter nach Norden, so findet man Beiträge von Finnen und den schwedischen bzw. norwegischen Lappen. Die nördlichsten Völker von allen sind die finnischen Lappen und ihre nächsten Verwanden, die russischen Samojeden.

Beide Völker sind eigentlich die verstreuten Überreste der Uralier, die vor langer Zeit die gesamte Tundra in Europa und Asien bewohnten.

Ihre Glaubensrichtung waren noch bis vor kurzen denjenigen der sibirischen Stammesangehörigen ähnlich.

Die Mehrheit der heute noch bekannten nord- und osteuropäischen Mythologie ist skandinavischer oder isländischer Ursprungs.

Die meisten slawischen Gottheiten sind viel mehr als Namen. Die meisten Mythen wurden vor allen durch das Christentum verdrängt. Als 989 Wladimir in Russland zum orthodoxen Glauben übertrat, kam es in Kiew zu Plünderungen heidnischer Tempel. Glücklicher erwähnten die damaligen Geschichtsschreiber in ihren Berichten über diese Vorkommnisse den sonderbaren Glauben an den Donnergott Perunu oder an Weles, den Gott der Tierherden.

Ohne diese flüchtige Berichterstattung wüssten wir heute so gut wie überhaupt nichts darüber. Aber auch so gibt es Schwierigkeiten aufgrund der heidnischen Vergangenheit Wladimirs vor seinem Übertritt zum Christentum. Er war schwedischer Abstammung, und der „Rus“-Staat, das „Kiewer Reich“ am Dnjepr, fiel als unmittelbare Folge der Wikingerreisen unter seine Herrschaft. Es ist daher wahrscheinlich, dass der slawische Donnergott Perunu bereits einiges von Thors Mythologie absorbiert hatte. Obwohl es zweifelsohne schon vor der Ankunft der Wikinger um das Jahr 860 einen einheimischen Hammergott gab, führte der große Einfluss nordischer Krieger in Nowgorod und Kiew zwangsläufig zu einer Identifizierung des russischen Gottes mit seinem germanischen Gegenstück. Wie stark die Präsens der Wikinger war, kann man anhand des Berichts des arabischen Reisenden Ibn Fadlan ermessen der die Feuerbestattung eines „Rus“ – Führers in einem Boot auf der Wolga im Jahr 922 schildert.

Auf dem Balkan begegneten die Slawen nicht nur dem Christentum, sondern waren später auch für längerer Zeit unter islamischer Herrschaft. Diese lange Isolation von jeglicher slawischen Einflüssen tat der Balkan – Mythologie nicht gut. Da die Mythen niemals niedergeschrieben wurden, ersetzte der Einfluss von Christentum und Islam das Erzählen einheimischer Geschichten. Von der baltischen Mythologie existiert heute so gut wie nichts mehr, obwohl man eine ungefähre Vorstellung von ihren Pantheon hat.

Es ist leider so, dass die europäische Mythologie dem baltischen Schicksal immer nur dann entkommen ist, wenn sie durch einen Zufall der Geschichte niedergeschrieben wurde.

Im Falle der keltischen Mythologie haben wir das Glück, dass sich christliche Mönche in Irland um die Aufzeichnung der alten Sagen gekümmert haben. Das klassische Erbe Griechenlands und Roms wurde ebenso wie das der Kelten in klösterlichen Bibliotheken aufbewahrt, nachdem die germanischen Völker die westlichen Provinzen des Römischen Reiches überrannt hatten.

Auch ein Großteil der germanischen Mythologie wiederum wäre verloren gewesen, hätte sich nicht der isländische Gelehrte und Staatsmann Snorri Sturluson um ihre Erhaltung bemüht.

Zu Beginn des 13. Jahrhunderts schrieb Snorri Sturluson ein Handbuch für Dichter über die Welt der germanischen Götter, wobei die genaue Erklärung zu den alten Mythen lieferte. Er erinnerte an die Sagen der Wikinger- Ära (etwa 750 – 1050), als um die Heldentaten von Odin, Thor und Freyr eine starke Tradition entstand. Noch unberührt vom Christentum stachen die rastlosen und wagemutigen Nordmannen – die Dänen, Norweger und Schweden – in See, um zu plündern und zu erobern. Wikinger – Krieger waren zumeist in kleinen Banden oder Schiffsbesatzungen organisiert und schlossen sich nur vorübergehend zusammen – dann, wenn Militärfeldzüge, Handelsreisen oder Seeräubereien anstanden. Oft dienten sie für eine gewisse Zeit unter einem berühmten Führer, um dann wieder auseinander zu gehen. Manchmal kam es allerdings auch vor, dass sie große Armeen oder Kriegsflotten aufbauten, wie z.B. die Truppen, die 842 Frankreich angriffen oder 866 in England einmarschierten. Ihre hervorragenden Schiffe und ihre meisterhafte Beherrschung der Seefahrt machten sie zu den Herren der Flüsse und Meere und ermöglichten es ihnen, riesige Strecken zurückzulegen.

Es waren die Iren, die am meisten über die Attacken der Wikinger klagten. „Das Meer hat eine Flut von Fremden ausgespuckt, die sich über ganz Irland ergossen hat“, notierte die Annals of Ulster, „ und jeder Hafen, jeder Strand, jede Festung, jede Burg ist unter Wellen von Normannen und Piraten versunken“. Im Jahr 836 beschlossen die Wikinger, im Gebiet des heutigen Dublin einen dauerhaften Stützpunkt zu errichten.

Es überrascht kaum, dass die aggressiven Wikinger – Krieger nur zu gerne von den Heldentaten des einäugigen Odin hören. Dieser König der germanischen Götter übte als „Vater der Erschlagenen“ eine besondere Faszination auf sie aus. Er teilte sich die auf dem Schlachtfeld Gefallen mit Freyja, der Göttin der Fruchtbarkeit. Er inspirierte auch die Furcht einflößender Berserker – menschliche Vernichtungsmaschinen, die sich ungestüm und nackt in den Kampf stürzten. Als sich der dänische König Harald Blauzahn über Odin Launenhaftigkeit beschwerte, weil dieser das Schlachtenglück ebenso schnell wieder entzog wie er es vergeben hatte, sagte der Kriegsgott: „Der graue Wolf beobachtet die Hallen der Götter.“

Indem er die in der Schlacht gefallenen heldenhaften Krieger um sich versammelte, hoffte Odin, der ständigen Bedrohung durch die Ragnarök, den Untergang der Götter, begegnen zu können. Diese toten Krieger, die Einherjar, wurden verzweifelt für die Endschlacht auf dem Kampfplatz Vigrid gebraucht, wo fast alle Beteiligten bei einer Begegnung zwischen den Göttern und den Reifriesen fallen sollten. Odin selbst war es vom Schicksal beschieden, vom Fenriswolf getötet zu werden. Dem monströsen Abkömmling des Feuergottes Loki und der Reifriesin Angrbada.
 

Das „Zeitalten von Streitaxt und Schwert“, das schließlich zur Katastrophe der Ragnarök führte, muss den rauen Wikingern wie ein Spiegelbild ihres alltäglichen Lebens vorgekommen sein. Aber für diejenige, die sich als Siedler niederließen, gab es als gemäßigtere Alternative zu Odin seinen Sohn Thor. Obwohl auch er „allergisch“ gegenüber Reifriesen war, wird er doch in den Sagen als ehrlicher und einfacher Charakter dargestellt. Er war sehr beliebt bei isländischen Siedlern, die aus dem Süden Norwegens vor den Gewalttaten geflohen waren. Tausende von ihnen brachten ihre Solidarität durch die Wahl ihres Familiennamens zum Ausdruck: Thorsten oder Thorulf waren weit verbreitete Namen.

Thors überirdische Präsenz hatte eine beruhigende Wirkung bei sowohl göttlichen als auch menschlichen Krisen, seien es nun Übergriffe von Reifriesen auf Götter, von einheimischen Tyrannen auf Bauern oder von übereifrigen christlichen Missionen auf heidnische Tempel. Allgegenwärtig war sein Donnerhammer Mjöllnir, ein magisches Instrument der Zerstörung, der Fruchtbarkeit und des Wiederaufbaus. Gegen Ende der Wikinger Ära wurde Thor schließlich zu einen noch größeren Gott als Odin.
 

 

Die Geschichte
 

Odin ist der oberste Gott der germanischen Mythologie, wie wir sie
aus der Edda kennen. Aus dieser Rolle verdrängte er wahrscheinlich
den ursprünglichen indogermanischen Himmelsgott Tyr/Tiwaz (s.u.).
Der "Allvater" ist ein wechselhafter und launischer Gott, was schon
daran sichtbar wird, daß er immer wieder unter anderem Namen
erscheint und seine wahre Identität verbirgt. Um die 170 Namen sind
für ihn in den alten Texten und Inschriften überliefert.
Odin ist der "Walvater", der als Kriegsgott die Gefallenen vom
Schlachtfeld 'kiest' und in Valhalla, der Halle der getöteten
Krieger aufnimmt. Diese "Einherjer" bereiten sich auf ihre letzte
Schlacht, Ragnarök, den Untergang der Götter, vor.
Auch für den ersten Krieg überhaupt ist dieser Gott verantwortlich.
Dies war der Kampf zwischen den Asen und dem zweiten
Göttergeschlecht, den Vanen. Odin warf als erster seinen Speer
Gungnir ins gegnerische Heer. Mit dieser Geste eröffneten die
germanischen Krieger später auch den Kampf und riefen "Odin hat euch
alle!".
Er stiftet auch andere zu Eidbrüchen an, sät Unfriede in Sippen.
Ein unruhiger Gott ist Odin, stets auf Wanderschaft und auf Suche
nach Weisheit und Wissen. So opferte er beispielsweise ein Auge, um
einen Schluck aus Mimirs Brunnen der Weisheit trinken zu dürfen.
Ebenso opferte er sich und hängte sich für 9 Tage und Nächte in den
Weltenbaum Yggdrasill, um am Ende die Kenntnis der Runen, der
(magischen) Schriftzeichen der Germanen zu erlangen. Aus diesem
Grunde ist Odin auch Gott der Ekstase, der Runen und auch der
Dichtkunst (neben Bragi). Für Kriegerbünde wird er die
Initiationsgottheit gewesen sein (Berserker).
Da ihm auch Menschenopfer dargebracht wurden, wobei die Opfer
bevorzugt in Bäume gehängt wurden, war ein weiterer Name Odins auch
"Hanga-Tyr" - Gott der Erhängten. "Harbard" - der Graubart - hieß
Odin auf Wanderschaft, wobei er auch die Welt der Menschen
aufsuchte. Er erschien dann zumeist im dunkelblauen Umhang und mit
Schlapphut.
Odin reitet auf seinem achtbeinigen Pferd, Sleipnir. Seine
'Symboltiere' sind Raben, Wölfe und der Adler, also die Tiere, die
nach der Schlacht auf dem Schlachtfeld zu finden sind. Zwei Raben
hat er, Hugin und Munin, die für ihn Neuigkeiten aus den Welten
sammeln. Seine Wölfe heißen Geri und Freki. Odin hat auch die
Fähigkeit, sich in Tiergestalt zu verwandeln, so z.B. in einen

Adler.

Im Buch "Teutonic Magic" vertritt K. Gundarsson die Auffassung, daß
andere Gottheiten wie Lodur, Hoenir, Heimdall oder Loki nur Aspekte
Odins seien.
siehe auch Inforamtionen zum südgermanischen

Donar / Thor

Sohn Odins mit der Erde, Jörd. Er ist der muskelbepackte Rotbart,
der mit seinem Hammer Mjöllnir, den Eisenhandschuhen und dem
Kraftgürtel permanent gegen die Riesen kämpft und Götter und
Menschen schützt. Er galt den Bauern als Fruchtbarkeitsgott, war
überhaupt der beliebteste Gott im Volk. Er ist der Gewittergott, der
Blitze schleudert und warmen Sommerregen spendet. Ein Freund der
Menschen, dessen Hammer bei Hochzeiten der Braut in den Schoß gelegt
wurde. Thor fährt einen von zwei Ziegenböcken gezogenen Wagen.

Tyr / Tiwaz / Tiu, Ziu / Saxnot

Der Himmels- und Rechtsgott. Es wird angenommen, daß er der
ursprüngliche, oberste Gott war (besonders bei den Südgermanen),
bevor er durch Odin verdrängt wurde. Mit ihm gemein hat er, daß er
auch als Kriegsgott angerufen wurde und er der eigentliche Gott war,
den man um Glück in der Schlacht bat. Die drei letzten Namen sind
südgermanischer Herkunft. Er ist der Gott der Thing-Versammlung
(thingsaz = Thinggott) und wurde bei Eiden angerufen. Die ihm
entsprechende Tiwaz-Rune wurde oft auf Waffen geritzt. Er 'opferte'
einen Arm, wodurch es den anderen Göttern gelang, den Wolf Fenrir zu
fesseln.

Balder / Baldur

Sohn von Odin und Frigg, Mann der Nanna und Forsetis Vater. Ein
strahlender Lichtgott, Balder der Gute, ein Gott der Gerechtigkeit.
Er wird von Hödr unbeabsichtigt getötet, angestiftet durch Loki. son
of Odin and Frigg, Nanna's husband and Forseti's father. A beautiful
god of light, 'Baldur the Good', a god of justice. He is killed
unintentionally by Hödr who was incited by Loki.

Forseti

Balder's Sohn, ein Rechtsgott. Wurde hauptsächlich von den Friesen
verehrt. Er hatten einen heiligen Platz (Quelle) auf der Insel
Helgoland. Forseti hört geschworene Eide.

Hödr

Blinder Sohn von Odin und Frigg. Sein Blindheit läßt ihn Balder
nicht erkennen, als er mit einem Mistelzweig auf ihn schießt.

Njörd

Er ist der Stammvater der Vanen. Seine Zwillinge Freyr und Freya
gehören zu den bekanntesten Göttern. Skadi ist seine Frau, aber
nicht die Mutter von Freyr und Freya. Njörd ist Meeresgott,
Schutzpatron von Seefahrern und Fischern.

Heimdall

Der Wächter an der Asenbrücke Bifröst. Wenn er in sein Horn stößt,
wissen alle, daß Ragnarök, der Untergang der alten Götter, begonnen
hat. Heimdall gilt als Ahnherr der Menschen und der verschiedenen
Stände der germanischen Gesellschaft - wie im Rigsmal geschildert.

Ullr

Ein rein skandinavischer Gott, Sohn der Sif, Stiefsohn von Thor.
Gott der Jagd und der Bogenschützen und Skiläufer sowie anderer
Winteraktivitäten.

Loki

Loki ist die schillerndste Gestalt in diesem Pantheon. Er ist
eigentlich kein Gott, sondern riesischer Abkunft. Er wird jedoch von
Odin nach Asgard gebracht und ist dessen Blutsbruder. Er ist er eine
Art Trickster, der immer wieder Unglück über die Götter bringt, bis
er schließlich ausschlaggebend für den Untergang der Götter wird:
Loki zeugte mit der Riesin Angrboda die drei "Monster", die später
die Götter im Ragnarök bekämpften: Die Midgardschlange, den Wolf
Fenrir und Hel, die Totengöttin in Helheim. Lokis Frau ist Sigyn.
Loki ist ein chaotischer, aber intelligenter Gott. Seine
'Grenzüberschreitungen' haben aber eher destruktive Tendenzen,
während dies bei Odin in Kreativität endet. Man kann das auch so
sehen, daß Odins destruktive Aspekte in einen anderen "Gott"
ausgelagert wurden.
Es gab nie einen Loki-Kult.

gir

Weniger ein Gott als vielmehr ein Meeresriese. Seine Frau ist Ran,
mit der er neun Töchter hat, die Meereswellen. Von ihnen, so wird
angenommen, stammt Heimdall ab.

Frigg

Odins Frau. Sie ist die allwissende, aber verschwiegene Göttin der
Frauen (im mittleren Alter), der Familie, des Heims. Sie wird bei
Geburten angerufen. Gundarsson vertritt auch hier die Auffassung, daß viele "Göttinnen"
Hypostasen von Frigg sind, so z.B. Saga, Eir, Syn, Holda, Berchta.

Freya

Die Tochter Njörds. Sie ist eine Fruchtbarkeits- und zugleich
Kriegsgöttin. Sie erhält die Hälfte der auf dem Schlachtfeld
Gefallenen, die sie in Folkwangr aufnimmt, die andere gehört Odin,
der im übrigen auch mit ihr liiert ist. Freya ist die Göttin der
Sexualität, der Liebenden bzw. der jüngeren Frauen. Sie hat einen
Wagen, der von Katzen gezogen wird und ein Falkengewand, mit dem sie
(schamanisch) fliegen kann. Sie ist Expertin im Seidh-Zauber.

Sif

Thors Frau, Mutter von Ullr. Sie hat auffallend goldenes Haar, das
das reife Getreide auf dem Feld symbolisiert. Mit ihr hat Thor den
Sohn Modi. Sie wird als Göttin der Schönheit und Eitelkeit gesehen
und zur Erntezeit geehrt.

Idun

Die Göttin, die die magischen Äpfel verwahrt. Diese verhelfen den
Göttern zu unverbrauchter Jugend.

Skadi

Sie ist mit Njörd verheiratet. Skadi ist ein große Jägerin und eine
Göttin der Berge und des Winters.

Baldur - Sohn der Sonne
 

Baldur ist der schönste und freudlichste der Götter. Er ist der Sohn von Odin und seiner Gemahling Frigg und gemeinsam mit seinem Bruder Höðr der Erbe von Odins Herrschaft, wenn die Brüder nach der Götterdämmerung wiedergeboren werden. Baldur ist von sonnenhaftem Wesen. Er ist so hell, daß ein Leuchten von ihm ausgeht, er ist der weiseste der Asen und am sprachgewandtesten, doch es ist ihm bestimmt, daß seine Beschlüsse keinen Bestand haben. Von allen germanischen Göttern kommt er dem Wesen eines Sonnengottes am nächsten, doch die Sonne ist im Norden weiblich, und so nennen wir ihn den Sohn der Sonne, der die Dinge verkörpert, die von der Sonne ausgehen: Licht, Reinheit, erhellender Geist und Heilung. Eine wichtige Heilpflanze, die von den Druiden "Allheil" genannte Mistel, ist Baldur geweiht. Indem sie heilt, leistet sie Wiedergutmachung dafür, daß sie Baldur getötet hat, wie der Mythos berichtet:
 

Der Mythos von Baldurs Tod und Wiedergeburt
 

Es wird berichtet, daß Baldur schlechte Träume hatte, und Odin ins Totenreich der Hel fuhr, um dort eine verstorbene Seherin zu erwecken und nach der Bedeutung der Träume zu fragen. Sie erzählte ihm, daß seinem Sohn ein früher Tod bestimmt sei. Da schickte Frigg, seine Mutter, Boten zu allen Wesen und Dingen der Welt und ließ sie schwören, Baldur keinen Schaden zuzufügen. Alle schworen es, denn alle liebten Baldur, doch ein einziges Wesen hatten die Boten übersehen, da es zu unscheinbar war. Das war die Mistel. Der einzige außer Frigg, der davon wußte, war Loki, denn er brachte eine Botin Friggs dazu, ihm das Geheimnis zu verraten.
 

Als die Asen nun glaubten, daß nichts in der Welt Baldur schaden konnte, machten sie sich einen Spaß daraus, die gefährlichsten Dinge nach ihm zu werfen und zu sehen, wie sie wirkungslos an ihm abprallten. Alle feierten die Unversehrbarkeit Baldurs mit diesem Spiel, nur sein Bruder Höðr konnte nicht mitmachen, denn er war blind. Da ging Loki zu ihm und bot sich an, ihm die Hand zu führen, damit auch er Baldur diese Ehre erweisen konnte. Höðr spannte einen Bogen, aber Loki legte als Pfeil die Mistel ein, und so geschah es, daß Baldur von seinem blinden Bruder getötet wurde.
 

Alle Götter waren verzweifelt, nur Baldurs Mutter Frigg gab die Hoffnung nicht auf: Sie fragte, ob nicht einer genug Mut habe, ins Totenreich zu gehen und mit seiner Herrscherin Hel zu verhandeln, daß sie Baldur freigeben würde. Das wagte ein dritter Sohn, den sie mit Odin hatte, Hermoðr. Er ritt mit Odins Pferd Sleipnir ans Tor der Hel, durch das keiner, der es durchschritten hatte, wieder zurückkehrt. Sleipnir sprang über das Tor, und so konnte Hermoðr wieder zurückkehren. Es gelang ihm, Hel dazu zu überreden, daß sie Baldur freigeben würde, wenn alle Wesen und Dinge der Welt um ihn weinen würden. Frigg schickte wieder ihre Boten aus, und alle weinten um Baldur bis auf eine Riesin mit Namen Thökk. Es heißt, daß dies Loki war, der sich in die Riesin verwandelt hatte. Die Götter ergriffen ihn und fesselten ihn an einen Felsen unter der Erde, von dem er sich erst bei der Götterdämmerung losreißen kann.
 

Die alte Verehrung Baldurs
 

Manchen halten Baldur für einen "jungen" Gott, der erst in der Vikingerzeit bekannt war. Das ist aber nicht richtig, denn er wird bereits in altenglischen (unter der Namensform Bældæg) und althochdeutschen Texten (Balder) erwähnt. Vieles spricht auch dafür, daß er mit dem keltischen Beli oder Belenos verwandt ist. Als Gott des Lichtes, der Reinheit und der Heilung entspricht er auch dem griechischen Apollon, von dem es heißt, daß er zuerst bei den "Hyperboräern", dem Volk im äußersten Norden der Welt, verehrt wurde. Dort hatte er der Sage nach einen runden Tempel, den griechische Reisende später mit Stonehenge identifizierten. Es ist gut möglich, daß der Kult Baldurs in der Bronzezeit, als rege Handelsbeziehungen bestanden, vom Norden bis nach Griechenland verbreitet war. Im Mittelpunkt der bronzezeitlichen Religion des Nordens standen Sonnen- und Jahreszeitriten, die bis heute in unseren Hauptfesten gefeiert werden. Sommer- und Wintersonnenwende sind mit dem Mythos Baldurs verbunden: Im Sommer, wenn sich die Sonne nach Süden kehrt und die Tage kürzer werden, gedenken wir des Tods Baldurs, und zum Julfest, wenn die Wiederkehr der Sonne einsetzt, feiern wir seine Wiedergeburt

Freya - die Große Göttin

Freyja - die Große Göttin der Vanen
 

Die größte Göttin der Vanen, die daher auch einfach Vanadis (Vanengöttin) genannt wird, ist Freyja. Eine Bronzestatuette der Vikingerzeit zeigt sie in der seit der Eiszeit bekannten "klassischen Venushaltung" mit einem Arm auf der Brust. In der rechten Hand steckte offensichtlich ein heute verlorenes Zusatzteil, vermutlich eine Waffe, denn als Große Göttin ist Freyja nicht nur die Göttin der Liebe, Sexualität und Fruchtbarkeit, sondern die Göttin von Leben und Tod und daher auch eine Kriegerin (wie übrigens auch Venus) und Göttin der Gefallenen, von denen sie die Hälfte aufnimmt.
 

Freyja als Göttin von Leben und Tod
 

In Freyja verehren wir alles, was bereits den Verehrern der Großen Göttin der Eiszeit heilig war: die kosmische Macht der Liebe, die sich in der natürlichen Sexualität und ihren schöpferischen Kräften manifestiert. Als kosmische Göttin ist Freyja ebenso wie Frigg, mit der sie viele gleichsetzen, mit der Sonne verbunden – weniger aber mit ihrer Ordnungsmacht als ihren lebensspendenden Kräften, Wärme, Glanz und Reichtum, die im Mythos ihr goldener Halsschmuck repräsentiert, der Brisingamen (Flammenring) heißt und von vier Alben geschmiedet wurde, nachdem sie mit ihnen geschlafen, d.h. durch den Ritus der Heiligen Hochzeit die Geister der vier Elemente – die ganze Natur – mit ihrer Heiligkeit erfüllt hatte.
 

Während Frigg als Ordnungsgöttin nur die eheliche Liebe schützt, verteilt Freyja als Göttin der Liebe an sich ihre Gaben unterschiedslos. Sie spendet auch allen Wesen in gleicher Weise Leben und Fruchtbarkeit: Alles Leben ist ihr Geschenk und gleich heilig. Freyjas heilige Tiere sind Katze, Schwein und Falke. Im Mythos besitzt sie einen Wagen, der von zwei Katzen gezogen wird, und ein Falkenkleid, mit dem sie, in einen Falken verwandelt, fliegen kann. Diese Verwandlungsfähigkeit ist ein Zeichen ihrer magischen Kraft, denn Freyja ist die Herrin der vanischen Art der Magie, des Seiðr - der Magie der Verwandlung und des "Siedens" (das bedeutet der Name Seiðr) magischer Tränke im heiligen Kessel, die auch von den Druidinnen und Hexen ausgeübt wird.
 

Daß im ewigen Kreislauf von Werden und Vergehen die lebensspendende Göttin zugleich die todbringende ist, drückt die Edda damit aus, daß der Eber, den Freyja besitzt, Hildisvinn (Kampfschwein) heißt, und dadurch, daß sie die Hälfte der gefallenen Krieger auswählt (die andere erhält Odin). Freyja führt sie nach Fólkvangur (Volksfeld). Was dort mit ihnen geschieht, wird nicht eigens gesagt, denn es ist auch so klar, was die Göttin des Lebens mit ihnen vorhat: ein neues Leben. Die zu jung starben, um Nachkommen zu haben, sollen eine zweite Chance erhalten.
 

Freyja und Oðr
 

Freyja war, als sie einen Gatten nehmen sollte, äußerst wählerisch. Auch Oðr, der eigentlich eine Gestalt Odins ist, mußte dreimal um sie werben, ehe sie ihn eines Blickes würdigte. Die Liebe zwischen den beiden ist aber das Urbild aller Liebe: Sie ist so groß, daß Freyja ohne Oðr nicht leben kann und ihn, als er auf der Suche nach Weisheit die Länder durchstreift, überall sucht und Tränen um ihn weint, aus denen der Bernstein entstanden ist. In diesem Mythos vollendet sich die Vision der polaren Ganzheit zur Gegenseitigkeit: Sonst ist es der Mann, der die Frau braucht, hier brauchen sie einander.
 

Die Verbindung von Freyja und Oðr/Odin ist auch die Vereinigung von weiblichem und männlichem Geist, d.h. von Denk- und Erfahrungsweisen, Gefühlen, Instinkten und geistig-magischen Kräften beider Geschlechter: die Ganzheit des Bewußtseins. Freyja lehrt Odin die Kunst des Seiðr.
 

Freyja und Gefjun - die Gründung Seelands
 

Freyja, die mit einem ihrer Beinamen Gefn (Geberin) heißt, wird auch mit Gefjun gleichgesetzt, von der ein dänischer Mythos erzählt, daß sie vor dem schwedischen König Gylfi sang und ihn so begeisterte, daß er ihr als Lohn soviel Land versprach, wie sie an einem Tag pflügen konnte. Gefjun verwandelte ihre vier Söhne in Ochsen und spannte sie vor den Pflug. Sie waren so stark, daß sie mit einem Ruck das ganze Stück Land aus der Erde rissen, das heute die Insel Seeland ist. Auf einem Brunnen in Kopenhagen ist das dargestellt. Es heißt weiter, daß Gefjun später den Seeländer Skjöldur heiratete, von dem die alte dänische Königsfamilie der Skjöldungen abstammte.
 

Auch andere skandinavische Sippen fühlten sich nicht nur wie alle Germanen Odin, sondern auch den Vanen wesensverwandt – vor allem natürlich dort, wo Vanengottheiten besonders verehrt wurden (d.h. Gebiete, in denen sie wirklich zu Hause sind, z.B. sehr fruchtbare Gegenden). Südschweden ist ein Land des Freyr. Das von dort stammende schwedische Königsgeschlecht der Ynglinge leitete seine Herkunft von Yngvi ab, der auch Yngvi-Freyr hieß, denn Yngvi, Ingwaz oder Inguz ist ein spezieller Name für Freyr.

Freyr - gute Ernte
 

Freyr - gute Ernte und Frieden
 

Der Gott, den man mit dem alten Vikinger-Segen um gute Ernte und Frieden (ár ok fríðr) anrufen soll, ist Freyr. Das sagt der Edda-Autor Snorri Sturluson, der Freyr auch als „vornehmsten unter den Göttern” bezeichnet: „Er regiert über Regen und Sonnenschein und damit über das Wachstum der Erde.” Als Freyjas Zwillingsbruder ist er auf männliche Weise das, was sie auf weibliche ist – der Spender von Leben und Fruchtbarkeit, sexueller Lust und Liebe: die Schöpferkraft der Männlichkeit. Deshalb wird er in der Vikingerkunst mit erigiertem Penis dargestellt wie hier in einem kleinen Bronzefigürchen, aber auch in seiner Kultstatue im Tempel von Uppsala.
 

Freyr und der Froði-Friede
 

In der dänischen Königssage ist der für seine Friedensherrschaft berühmte König Froði ein Sohn von Skjöldur, Snorri Sturluson setzte ihn aber mit Freyr selbst gleich. Wahrscheinlich war Froði (nord. „der Weise”) ursprünglich ein Beiname Freyrs, der später auch als königlicher Ehrenname verwendet wurde. Der „Froði-Friede” war ein sagenhaftes Zeitalter von Frieden, Gerechtigkeit und Wohlstand, in dem Historiker eine Erinnerung an die Bronzezeit vermuten, in der in Skandinavien tatsächlich Friede, Wohlstand und hohe Kultur herrschten – und die Vanen besonders verehrt wurden. Die Verbindung (oder Identität) Freyrs mit Froði weist ihn jedenfalls sehr klar als einen Gott des Friedens aus – und daß ihn die Vikinger so hoch verehrten, spricht eindeutig gegen ihr Macho-Krieger-Image. Wahre Männlichkeit sah für sie wohl doch anders aus.
 

Freyr, Odin und Thor
 

Im Tempel von Uppsala standen Bilder dreier Götter: Freyr, Odin und Thor. Sie vertraten nicht nur sich selbst, sondern die Ganzheit aller Götter, denn in ihren Funktionen– Souveränität (Odin), Schutz (Thor) und Ernährung (Freyr) – stehen sie für die gesamte Gesellschaft der Götter wie der Menschen. Diese Dreiheit männlicher Götter zeigt auch das Männlichkeitsideal des Heidentums: drei Möglichkeiten, die je nach Persönlichkeit verschieden stark verwirklicht werden, aber immer zusammengehören. Ein wahrer Mann ist nicht nur geistig-religiös tätig, nur Krieger oder nur Ernährer – Abwege, auf denen Mönche, Fremdenlegionäre und Workoholics ihr Leben vergeuden. Er muß allen drei Anforderungen entsprechen: seine Familie ernähren und schützen und sich geistig weiterentwickeln. Denn er hat natürlich eine Familie, wenn einer der drei Götter, die er in sich trägt, der Lebensspender Freyr ist. Nur Väter sind ganze Männer. Sie müssen es auch sein.
 

Freyr und Gerðr
 

Wie sein Vater Njörðr hat auch Freyr eine Frau aus dem Jötenstamm. Sie heißt Gerðr und ist die Tochter von Gymir („Erdmann”, von gyma, Erde). In der Edda wird erzählt, daß Freyr seinen Diener Skirnir als Brautwerber zu ihr schickte und ihm dafür sein Pferd und sein Schwert gab. Obwohl ihr Skirnir die Vorzüge Freyrs schilderte und reiche Brautgeschenke versprach, wollte Gerðr nichts von Freyr wissen. Schließlich drohte er, sie mit einem Runenfluch zu belegen, und so willigte sie in die Hochzeit ein.
 

Forscher haben viel über diese erpresserische Brautwerbung gerätselt, die zu Freyrs Wesen gar nicht paßt, und halten sie für einen historischen Mythos: Freyr-Verehrer hätten das Land von Leuten erobert, die die Erdgöttin Gerðr nannten. Ihr Name hängt mit garðr (bebautes Land, Garten) zusammen, sie ist also die Göttin eines Bauernvolkes oder der bäuerlich genutzten Erde. So ergibt die Brautwerbung Skirnirs einen Sinn: Der Bauer liebt die Erde, aber er zwingt sie auch, für ihn Früchte zu tragen.
 

Tiere und Attribute Freyrs
 

Weil er es Skirnir hat, muß Freyr in der Götterdämmerung ohne Schwert mit Surtur kämpfen und wird getötet. Zuvor besiegt er in einem Zweikampf den Thursen Beli, indem er ihn mit einem Hirschgeweih tötet. Das kommt daher, daß eines von Freyrs heiligen Tieren, vielleicht sein ältestes Totem, der Hirsch ist, der auch in der keltischen Religion eine große Rolle spielt. Der keltische Gott Cernunnos, der ein Hirschgeweih auf dem Kopf trägt, ist wohl identisch mit Freyr. Ein anderes Tier Freyrs ist das Schwein. Er hat einen Eber mit Namen Gullinbursti (Goldborste). Mit seinem Schiff Skidbladnir kann er fliegen, d.h. Geistreisen unternehmen. Schließlich ist Freyr, wie auch Odin, das Pferd heilig. Als Totemtier weist es auf seine Rolle als Stammvater von Sippen wie der Ynglinge hin.
 

Gott des Wassers: Ingwaz/Yngvi-Freyr
 

Eine besondere Erscheinungsform Freyrs, des Lebensspenders, zeigt sich in seiner Verbindung zum Urelement des Lebens, dem Wasser. Als Gott des Wassers heißt er Yngvi-Freyr oder nur Yngvi. In England (Ing-Land) wird er unter dem Namen Ing verehrt. Von der altgermanischen Form Ingwaz leitet sich der Name der Ingwäonen ab, d.h. der Stämmegruppe, die an der Nord- und Ostsee lebte. Ingwaz ist auch der Name der 22. Rune, die ein Paar mit der 21. Rune, Laguz (Gewässer), bildet. Das altenglische Runengedicht sagt, daß Ing „über die Wellen gefahren” kommt. Man ruft ihn an, wenn man die vanischen Kräfte des Wassers beschwören will.
 

Als Vanengott ist auch Ingwaz/Yngvi-Freyr ein Zwilling. Die Namensform Ingunar-Freyr, die in der Edda vorkommt, deutet auf eine Göttin Ingun bzw. auf den Beinamen Ingun für Freyja als Göttin des Wassers hin. Entsprechend der natürlichen Bedeutung des Wassers waren „Wasserkulte” weit verbreitet. Die Heiligkeit des Wassers ist ein zentraler Punkt jeder Naturreligion.

Frigg und die Nornen
 

Frigg - die Himmelskönigin
 

Frigg ist die Ehefrau Odins und die höchste der Göttinnen, die alle, auch wenn sie zum Vanenstamm gehören, Asinnen (nord. Ásynjur) genannt werden. Die Edda berichtet mehr von den männlichen Göttern, doch heißt es ausdrücklich, daß "die Göttinnen um nichts weniger heilig und mächtig" sind. Frigg heißt in den altgermanischen Sprachen Frea (langobardisch) und Frija (althochdeutsch) und wird wegen dieser Namensähnlichkeiten oft mit Freyja gleichgesetzt. Tatsächlich kommen beider Namen vom selben Wortstamm wie "Frau" im ursprünglichen Sinn von "Herrin" und besagen, daß sie die höchsten Göttinnen der Asen bzw. der Vanen sind – es sind also eigentlich rituelle Ehrentitel, unter denen die Göttinnen angerufen wurden.

 

Frigg ist die Große Göttin, entsprechen der gemeinsamen Natur aller Asen aber nicht die Erdmutter, sondern die Himmelskönigin. Als solche herrscht sie über die heiligen Ordnungen im Kosmos und in den sippenübergreifenden Zusammenschlüssen der Menschen. Sie schützt die Eide, durch die sich Fremde einander verpflichten, und die Ehe, durch die nicht nur einzelne Frauen und Männer, sondern auch ihre Sippen verbunden werden. Daher ist sie die Göttin der verheirateten Frauen, die nach germanischer Tradition richtige Herrinnen von Haus und Hof sind, und die Schützerin ihrer Aufgaben und Interessen. Die als gegenseitige Verpflichtung betrachtete Ehe ist nach germanischer Auffassung eine Spezialform der Heiligen Ordnung (altgerm. eh) im allgemeinen, die sich auf höchster Ebene in der Ordnung des Kosmos zeigt.

 

Frigg ist daher eng mit dem zentralen Ordnungsgestirn, der Sonne, verbunden. Sie ist nicht eigentlich eine Sonnengöttin, obwohl die Sonne in den nordischen Sprachen weiblich ist, aber die Göttin, deren Ordnungs- und Schöpfungskraft sich in der Sonne spiegelt. Weil die Sonne aus der Sicht von Seeleuten, wie es die Vikinger waren, aus dem Meer steigt und im Meer versinkt, heißt Friggs Wohnort in der Vikingertradition Fensalir (Meersäle). Mit der Sonne, aber auch mit dem Mond und damit mit beiden Gestirnen, an denen wir die zyklische Ordnung der Zeit sehen, ist Frija/Frigg auch im zweiten Merseburger Zauberspruch verbunden, wo zwei ihrer Schwestern Sunna und Sinthgunt ("Nachtwandlerin", Mondin) heißen. Die dritte heißt Volla (Fülle), in der Edda Fulla, die ein goldenes Stirnband trägt, nach dem die Dichter das Gold "Sonne von Fullas Stirn" nennen.

 

Frigg besitzt ein Falkengewand, d.h. sie kann sich in einen Falken verwandeln, beherrscht also die schamanische Magie und Seherkunst wie Odin, mußte sie aber nicht wie er erst von anderen lernen, sondern hat diese Fähigkeiten von selbst – wie es überhaupt die Eigenschaft der Göttinnen ist, daß sie ihre Kräfte, eigentlich ihre Göttlichkeit, von sich aus besitzen und nicht erst erwerben und erkämpfen müssen wie die Götter. Anders als Freyja, die Odin die Kunst des Seiðr lehrte, gibt Frigg ihr Wissen nicht weiter. Sie kennt das Schicksal aller Wesen, aber sie schweigt. Denn sie weiß auch um die Unabänderlichkeit des Schicksals – daß sie im Fall ihres Sohnes Baldur dennoch versucht, es zu ändern, und dadurch selbst dazu beiträgt, es zu erfüllen, zeigt das tragische Schicksalsverständnis des Heidentums: Was immer dein Schicksal ist, laß es nicht geschehen, sondern lebe es!

 

Diese Haltung liegt im Wesen Friggs, denn als Himmelskönigin und Herrin der Heiligen Ordnung ist sie letztlich die Schöpferin des Schicksals oder jedenfalls der Grundlagen, aus denen es gewoben ist. Friggs magisches Attribut ist daher die Spindel: Die Fäden des Schicksals, die die Nornen weben, werden von Frigg gesponnen.

 

Schicksalsgöttinnen: die Nornen
 

Die Nornen (nord. Nornar) sind eine Dreiheit von Göttinnen, die an einer Quelle am Fuß des Weltbaums wohnen, die der Brunnen des Schicksals (Urdbrunnen) heißt. Dort teilen sie allen Wesen ihr Schicksal zu. Die älteste heißt Urðr ("die Gewordene"), ihre Schwestern sind Verdandi ("die Werdende") und Skuld ("die werden wird"). So teilen sie Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu, und so nimmt man beim Loswerfen die drei Runen in der Reihenfolge der Nornen auf und liest aus ihnen Ursprung, Zustand und Aussichten einer Sache, nach der man die Runen befragt. Diese drei Namen wurden erst von den Sehern der Vikingerzeit genannt, aber die Dreizahl der Nornen ist alt, denn Göttinnen wurden schon in altgermanischer Zeit oft als Dreiheit verehrt. Urðr ist darüber hinaus eines der Wörter, mit denen man auch das Schicksal als solches bezeichnet. Es heißt auf althochdeutsch Wurt und auf altenglisch Wyrd. Das bedeutet, daß das Schicksal nicht eine von fremder Hand festgelegte und starre "Bestimmung" ist, wie Anhänger autoritärer Religionen glauben, sondern ein dynamisches Werden, das sich immer wieder selbst gestaltet und aus seinen Ursachen hervorbringt. Auf nordisch heißt es auch Örlög, d.h. Grundlagen oder Grundschichten, denn es betrifft die grundlegenden Ursachen, aus denen die Dinge entstehen. Der gebräuchlichste heutige Ausdruck für das Schicksals, wie wir es verstehen, ist das englische Wort Wyrd. Es ist das ewige Werden, das durch die Hände der Nornen geht, aber auch ihre Macht übersteigt. Daher wäre es sinnlos, die Nornen um Hilfe anzurufen. Man kann sie nur respektieren und das Schicksal, das sie zuteilen, bewußt annehmen und leben, wie es Frigg im Mythos tut.

Hel - die Göttin der Toten
 

Hel ist die Göttin der Toten und in der Edda eine Tochter von Loki und der Riesin Angurboda, gehört also nach dieser Abstammung zu den Jöten und wird auch nie zu den Asinnen gezählt. Dennoch ist sie eine Göttin, denn das Reich der Göttinnen umfaßt Leben und Tod. So ist auch die freundlichste unter den lebensspendenden Vanengottheiten, Freyja, zugleich Kriegerin und Herrin über den Tod, die die Hälfte der gefallenen Krieger in ihren Palast Folkvangr aufnimmt (die andere Hälfte geht zu Odin nach Valhall). Ins Totenreich der Hel wandern nach der Edda-Überlieferung die Seelen derjenigen, die den "Strohtod", also auf dem Strohsack eines natürlichen Todes gestorben sind. Es gibt aber auch Überlieferungen, wonach alle Toten, auch die größten Helden und sogar Baldur, ins Reich der Hel eingehen.
 

Hels Name (altdeutsch Hella) hängt mit verhehlen zusammen, bezieht sich also nur auf die verborgene Existenz der Toten und hat keinerlei negative Bedeutung. Erst in christlicher Zeit wurde das Totenreich, das wie seine Herrscherin Hel heißt, zur Hölle im Sinn der hebräischen Mythologie – mit dem Hintergedanken, alle toten Heiden, die wie Baldur zur Hel gingen, posthum zur Hölle zu schicken. Auch die Edda beschreibt Hel als ein Reich der Finsternis und des Schreckens, doch diese Beschreibungen dienen nicht zur Schürung künstlicher Ängste, die unbotmäßige "Gläubige" gefügig machen sollen, sondern stellen einfach die natürlichen Schrecken des Todes dar, die er nun einmal hat und die unsere Religion erst gar nicht zu leugnen oder zu beschönigen versucht. Wie die Nornen wird Hel respektiert, aber nicht mit Riten verehrt.
 

Heidnische Jenseitswelten
 

Das Reich Hel ist eine von mehreren mythischen Visionen, die das Heidentum über das Weiterleben nach dem Tod hervorgebracht hat. Eine andere ist, wie erwähnt, die Aufnahme in die jenseitigen Reiche Odins und Freyjas, sehr verbreitet ist auch der Glaube an die Wiedergeburt, der in zahlreichen Sagas belegt ist, und das Bewußtsein, daß man in den Nachkommen (was ja kein Glaube, sondern biologisches Faktum ist) und in der Erinnerung weiterlebt. Ein alter indogermanischer Glaube ist die Wiedergeburt in einem direkten Nachkommen. Daher wurden bei Germanen und Griechen Kinder oft nach einem verstorbenen Vorfahren benannt.
 

Diese Vielfalt mag jemanden irritieren, der nach einer eindeutigen Antwort sucht, es hat aber einen guten Grund, warum das Heidentum diese Antwort scheinbar schuldig bleibt: Wir machen uns nichts vor – der Tod ist Hel, das Verborgene. Er gibt sein letztes Geheimnis nicht preis. Wir können es nur erahnen und respektieren, daß es ein Geheimnis bleibt, dem wir uns auf verschiedene Weise nähern, das wir aber niemals ausloten können. Deshalb haben alle verschiedenen Visionen ihre Berechtigung, ihre Wahrheit und sogar ihre Notwendigkeit: Einem Mysterium, das unser Begreifen übersteigt, können wir uns nicht auf einer Einbahnstraße nähern. Es kann nur viele Wege geben, die verschieden sein können und auch müssen.
 

Eines haben aber alle heidnischen Jenseitsvisionen gemeinsam: Sie haben nichts mit Lohn oder Strafe zu tun, und sie sind nicht dazu da, daß man das diesseitige Leben nach ihren ausrichtet. Weiterleben ist keine moralische Einrichtung, sondern ein Teil des ewigen Kreislaufs von Werden und Vergehen, in dem es den Tod geben muß, damit es Leben gibt. Und das ist am wichtigsten. Im Heidentum geht es vor allem um das Leben vor dem Tod. Es will uns weder Ängste noch Hoffnungen machen, sondern lehren, das Leben zu lieben und den Tod nicht zu fürchten.

Idunn, Sif und andere Göttinnen

Die junge Göttin: Idunn
 

Über Idunn erzählt die Edda wenig. Sie ist die Gärtnerin der heiligen Äpfel, die den Göttern ewige Jugend geben, selbst sehr jung und die Frau des Dichtergottes Bragi, der eine Gestalt Odins ist. Ein Mythos handelt davon, daß sie vom Jöten Thjasi entführt wird. Dieser hat zuvor Loki gefangen und gezwungen, sie ihm auszuliefern. Loki ist es aber auch, der sie befreit. Er ziegt Freyjas Falkenhemd an, verwandelt Idunn in eine Nuß und trägt sie im Schnabel zurück. Apfel und Nuß symbolisieren kommendes Leben. Idunn, die Jugendgestalt der Göttin allen Lebens, ist damit auch eine Göttin der Wiedergeburt und desWeiterlebens in kommenden Generationen. Ihre geringe Rolle in der Edda geht darauf zurück, daß sie keine Göttin der Männer ist, die die Edda-Lieder dichteten, sondern die Schützerin und Führerin der jungen Frauen und Mädchen, die sie in die Mysterien der Großen Göttin einweiht.
 

Das Geheimnis der heiligen Äpfel
 

Der Schlüssel dazu ist ihre heilige Frucht, der Apfel. Er spielt eine wichtige Rolle in den weiblichen Mysterien, wie der Name der Druidinnen-Insel Avalon („Apfelland”) sagt, die in Griechenland als Insel der Hesperiden bekannt war, deren Äpfel– wie die Idunns –neue Jugend geben. Wahrscheinlich ging die Verehrung Idunns von den Druidinnen des historischen Avalon aus, das bei Glastonbury oder auf der Kanalinsel Sein vermutet wird. Ins mythische Avalon wurde König Artus nach seinem Tod entrückt, um wiedergeboren zu werden, wenn sein Volk seine Hilfe braucht. Die Äpfel Avalons sind Früchte der Wiedergeburt, der sexuellen Energie und der Einweihung. Daher wurde die „Frucht” der Bibel, mit der Eva den Adam verführt, im Norden als Apfel gedeutet: Er wächst auf dem Baum der Erkenntnis.
 

Die Göttin der Familie: Sif
 

Sif (wörtlich „Sippe”) ist die Frau von Thor und die Schützerin der Familie und ihrer Lebensgrundlagen, die unsere Vorfahren im reifen Getreide symbolisierten. Sif hat daher Haar aus Gold, das die Alben fertigten, die auch Thors Hammer und Odins Speer und Ring schmiedeten. Sonst berichtet die Edda nicht viel über sie, wohl ebenfalls, weil sie wie Idunn eine Göttin der Frauen ist. Sif wird gemeinsam mit Frigg in Ehe- und Familienangelegenheiten angerufen.
 

Disen und Walküren
 

Die Disen und Walküren stehen mit den Totengeistern in Verbindung. Als Disen (nord. Disir) bezeichnen wir alle weiblichen Geistwesen, die keine Göttinnen sind, z.B. Natur- oder Ahnengeister. Denen, die als Naturgeister die Wachstumskräfte der Erde fördern, galt das nordische Disablót, das Mitte Oktober gefeiert wurde. Ursprünglich scheint der Name Disen oder altgermanisch Idisen nur die weiblichen Ahnengeister bezeichnet zu haben.
 


 

Die Walküren (Valkyrjar) sind die Disen der Krieger, die ihnen bei ihrem Tod erscheinen und ihre Geister zu Odin bringen. Die Fylgja, der Ahnengeist einer Familie, erschien in den alten Kriegerclans als Walküre. Im Gefolge Odins machen die Walküren in der Edda eine bedeutende Wandlung durch – Sie werden (und darin liegt heute ihre Bedeutung) zu Geisthelferinnen der Männer, die dem spirituellen Weg Odins folgen: Sigrdrifa, die von Sigurd erweckt wird, weiht ihn in einige Aspekte der Runenweisheit ein. Göttinnen in altgermanischer Zeit
 

Von den Göttinnen, die hier näher beschrieben sind, wurden in altgermanischer Zeit vor allem Frija oder Frea, die mit Frigg und Freyja identisch sind, Nerthus und Ostara sowie die Disen verehrt. Auch Hel ist unter dem Namen Hella bezeugt. Die Erdgöttin wurde auf Gotisch einfach "Erde" (Erca) genannt, auf Althochdeutsch heißt sie Hludana, was dem nordischen Namen Hloðyn entspricht, oder Huldana, die Huldreiche. Aus Huldana wurde die Frau Holle des Märchens, das auf einen weiblichen Einweihungsritus zurückgeht. Ein weiterer Name für sie, Tamfana, weist sie als Spenderin der Fülle (gotisch thamba) aus. Eine im südgermanischen Raum verehrte Göttin, die mit Frigg gleichgesetzt wird, ist Berchta oder Pertha – ein Name, der mit der Rune Perthro und engl. birth (Geburt) zusammenhängt.
 

Die dreifaltige Muttergöttin
 

Im germanisch-keltischen Grenzraum an Rhein und Donau war es auch verbreitet, die Große Göttin nach keltischer Tradition als dreifaltige Gottheit anzurufen. Lateinische Inschriften auf Steinaltären im römischen Stil nennen diese Göttinnendreiheit die Matrones (Mütter) mit germanischen Beinamen wie Alagabiae (Allgebende), Afliae (Kraftspendende), Arvagastiae (Gastfreundliche) usw. Das sind rituelle Anrufungen der Dreiheit. Ein anderer Begriff, Vatviae, hängt mit dem Wasser zusammen und bezeichnete Quellgottheiten. Wenig bekannt ist über die durch einen Kult in Oberösterreich bezeugten Vibes, die von romanisierten Kelten verehrt wurden, aber wohl einen germanischen Namen ("Weiber", damals nicht wertend) tragen.
 

Loki - Jötensohn und Götterbruder
 

Loki kommt aus dem Volk der Jöten, ist aber zugleich auch der Blutsbruder Odins und gehört deshalb zu den Asen. Als Jötensohn und Götterbruder ist er von einem doppelten, zwiespältigen Wesen: Trickreich, wie er ist, hilft er den Göttern, wenn sie ihn lenken und kontrollieren. In den Mythen der Edda begleitet er besonders oft Thor auf seinen Fahrten und erweist sich dabei als nützlicher Helfer. Im Mythos vom Riesenbaumeister rettet er die Götter, indem er sich in eine Stute verwandelt und den Hengst des Riesen ablenkt.
 

Es ist aber typisch für Loki, daß er Unheil anrichtet, sobald er nicht unter Führung der Götter, sondern eigenmächtig handelt. Das ist die Wesensart der Jöten, von denen er abstammt. Zugleich aber verkörpert er die andere, dunkle Seite des Geistes überhaupt, die dunkle Seite Odins, seinen „dunklen Bruder”, wie Kelten sagen würden. Lokis Name ist vielleicht keltischen Ursprungs: Lugh heißt in Gallien und Irland ein Gott, der Odin sehr ähnlich ist. Ein germanischer Namensursprung könnte im Wort "Lohe" liegen, denn Loki ist auch der Gott des Feuers, das wie er unter Kontrolle segensreich, unkontrolliert aber unheilvoll ist.
 

Auf jeden Fall gehören Loki und Odin zusammen. Das ist wichtig, um die Mythen über Loki richtig zu verstehen, denn sie erwecken sonst vielleicht den Anschein, als wäre er ein „böser” Geist. Das ist Unsinn. Gut und Böse als absolute Gegensätze gibt es im Heidentum nicht. Die dunkle Seite, das Jötenhafte, Destruktive des Geistes, das Loki verkörpert, gehört ebenso zur polaren Ganzheit des Seins und des Göttlichen. Deshalb nehmen die Götter Lokis Taten hin – bis zu dem Tag, an dem er Baldur tötet. Sie fesseln ihn bis zur Götterdämmerung. Dann reißt er sich los und führt, nun ganz Jötensohn, die Feinde der Götter an. Aber auch das ist notwendig: Im ewigen Kreislauf des Werdens wächst aus der Asche der alten die neue Welt.
 

Loki ist mit der Asin Sigyn verheiratet, seine Kinder aber zeugte er mit der Riesin Angrboda ("Angstbringern"). Es sind die Totengöttin Hel und zwei weltbedrohende Ungeheuer: die Midgardschlange und der Fenriswolf. Lokis größter Feind ist Odins Sohn Heimdall, mit dem er in der Götterdämmerung kämpfen muß.

Nerthus, Njörðr, Skaði und Ullr
 

Diese vier Gottheiten, die in der Überlieferung z.T. unabhängig voneinander dargestellt werden, sind ent miteinander verbunden und gehören dem Stamm der Vanen an. Von Njörðr, Skaði und Ullr berichtet die Edda, Nerthus kommt in der nordischen Literatur nicht mehr vor, wird aber in einem Bericht des römischen Historikers Cornelius Tacitus ("Germania") ausführlich beschrieben.
 

Nerthus - die vanische Erdmutter
 

Nerthus ist die lateinische Schreibweise für den Namen der Göttin, die durch die berühmte, von Tacitus beschriebene Frühlingsprozession verehrt wurde. Die altgermanische Originalform Nerþuz ist – mit Ausnahme des Geschlechts – sprachlich identisch mit dem Namen des Vanengottes Njörðr, woraus wir zunächst einmal schließen können, daß auch Nerthus zum Vanenstamm gehört. Das entspricht auch ganz ihrem Wesen. Tacitus bezeichnet sie als "Terra Mater", Mutter Erde, und spart sich damit eine nähere Schilderung, denn die Mutter Erde wurde auch in Rom verehrt und war seinen Lesern gut bekannt.
 

Tacitus berichtet von einem Heiligtum der Nerthus, das „auf einer Insel im Ozean” lag, wahrscheinlich Helgoland („heiliges Land”) oder Seeland. Dort stand ihr „unentweihter”, also als Urwald belassener heiliger Hain, und darin ein mit Decken umhüllter Wagen, den nur ein einziger Priester sehen durfte. Er wußte, wann die Göttin im Wagen erschien. Zwei Kühe zogen dann den Wagen durch die Stammesländer ihrer Verehrer. Wohin die Göttin kommt, herrschen Feststimmung und heiliger Friede, alles Eisen wird weggesperrt. Am Ende der Festzeit werden der Wagen und die Göttin ins Heiligtum zurückgeführt und in einem See gewaschen.
 

Tacitus schrieb, daß die Knechte, die den Wagen wuschen, danach ertränkt wurden, damit sie seinen Standort nicht verraten konnten – vielleicht auch nur eine Schauergeschichte, die man dem neugierigen Römer erzählte, denn sie steht im Widerspruch zum lebensfrohen Gesamtcharakter des Festes. Es fand beim Erscheinen der lebensspendenden Göttin statt, also zu Frühlingsbeginn. In späteren Maibräuchen wird statt des verhüllten Wagens, in dem nur der Seher die Göttin erkennt, eine junge Frau herumgeführt, die als Priesterin und Vertreterin der Nerthus auf dem Thron sitzt. Oft war es die Stammesführerin. Bei den Kelten war die Königin die Vertreterin der Landesgöttin.
 

Nerthus gleicht in vielem der Asengöttin Ostara, die wir ebenfalls zu Frühlingsbeginn verehren, und in Österreich der keltischen Landesgöttin Noreia, die von den germanischen Einwanderern mit Ostara identifiziert wurde.
 

Nerthus und Njörðr
 

Njörðr ist der Vater von Freyr und Freyja und hat wie Freyr in seiner Gestalt als Yngvi-Freyr oder Ingwaz eine enge Beziehung zum Wasser, vor allem zum Meer. Sein Wohnsitz heißt in der Edda Nóatún, Schiffszaun. Er herrscht über das Meer und den Wind, ist auch reich und kann Reichtum verleihen. In Norwegen sind viele Küstenorte nach seinen Heiligtümern benannt, in Schweden auch Orte im Landesinneren, deren Gegend besonders fruchtbar ist. Njörðr wird bei Seefahrten und beim Fischfang, um Erfolg beim Erwerb und um Hilfe bei Eiden angerufen. Das letztere kommt daher, daß er bei der Versöhnung der Götter nach dem Krieg zwischen Asen und Vanen zur Bekräftigung der Eide, die sie einander geschworen hatten, zu den Asen ging.
 

Seine Beziehung zum Wasser verbindet ihn ebenso wie sein Name mit Nerthus, deren Heiligtum an einem See auf einer Insel im Meer liegt. Nerthus und Njörðr sind in Wirklichkeit ein Götterpaar wie auch Freyja und Freyr, denn die Vanen sind Zwillingsgottheiten, die ihre polaren Schöpferkräfte immer in weiblicher und männlicher Gestalt zeigen. Der Mythos beschreibt diese Polaritt dadurch, daß sie Geschwister oder Ehepartner oder beides zugleich sind. Die Blutsverwandtschaft erschien den Sehern schließlich als zutreffendere Vision der vanischen Zwillingsnatur: Freyr und Freyja sind Geschwister und mit Partnern aus anderen Sippen verheiratet. Das wird auch von Njörðr berichtet.
 


 

Die Ehe von Njörðr und Skaði
 

Als der Jöte Thjasi Idunn entführt hatte und Loki, in einen Falken verwandelt, die Göttin befreite, verfolgte sie Thjasi in Adlergestalt, bis er von Thor getötet wurde. Er hatte aber eine Tochter namens Skaði, die eine Kriegerin war und gewaffnet vor die Asen trat, um Buße zu fordern. Da ihre Forderung gerecht war, schlugen sie ihr vor, sich zur Versöhnung unter ihnen einen Mann zu wählen. Sie durfte aber nur die Füße sehen und mußte sich danach entscheiden. Skadi wählte den Gott mit den schönsten Füßen, von dem sie glaubte, daß es Baldur wäre. Es war aber Njörðr. Die Ehe war unglücklich: Njörðr liebte das Meer, Skaði die Berge, die Jagd und den Schnee. Sie lebten eine Zeitlang abwechselnd je neun Tage am Meer und im Gebirge, doch schließlich trennten sie sich. Skaði bekam dann noch mehrere Söhne von Odin.
 

Skaði und Ullr
 

Skaði ist, wie ihr Name sagt, die Landesgöttin von Skandinavien, das nach derselben Wortwurzel benannt ist. Berge und Schnee sind ihre Heimat. Ihre Söhne mit Odin sind Stammväter einiger skandinavischer Helden. Die Jöten-Herkunft spricht nicht gegen ihre Göttlichkeit: Auch die Asen stammen von Jöten ab. Durch die (wenn auch irrtümliche) Wahl Njörðs zeigt Skaði, daß sie zu den Vanen gehört, denn Füße – verglichen mit Schuhen oder Spuren – sind in vielen Überlieferungen ein Erkennungszeichen.
 

Es ist daher anzunehmen, daß der Gott, mit dem Skaði Njörðr verwechselte, in der ursprünglichen Version des Mythos nicht Baldur war, sondern Ullr, der wie Skaði eine Gottheit der winterlichen Natur ist. Beide heißen Önduráss bzw. Öndurdis (Gott/Göttin auf Skiern). Ullr, der Jäger und Bogenschütze, ist Skaðis wesensverwandter Vanen-Zwilling. Die Edda zählt ihn nur deshalb zu den Asen, weil er ein Ziehsohn Thors ist. Vanisch ist auch der Mythos, wonach er, als Odin einmal ins Exil geht, die Führung der Götter übernimmt, denn dieses „Exil” ist der Winter, und im kosmischen System der Vanen gibt es auch die Dualität von Sommer- und Wintergott, ursprünglich wohl Njörðr und Ullr. Erweitert um die Dualität von Asen (Odin) und Vanen (Ullr) gewinnt sie eine neue Dimension.

Odin

Odin, Wodan und die Dreiheit

 

Odin ist der – heute auch im deutschen und englischen Spachraum meistverbreitete – nordische Name des Gottes, der auf altdeutsch Wodan und auf altenglisch Voden heißt. Sein Name kommt vom Wort woð, wörtlich "Wut", das aber ursprünglich allgemein einen Zustand geistig-seelischer Erregung, Energiegeladenheit, Begeisterung und Ekstase bezeichnete, im besonderen aber den Zustand höheren Bewußtseins, den der Schamane und Seher (lat. vates) für seine Aufgaben braucht.
 

Odin ist der Gott der geistigen Kräfte, des Wissens und der Weisheit. Er ist Magier, Seher, Heiler, Dichter und Entdecker der Runen. Er zeigt sich in der Kraft von Wind und Sturm, im Rauschen der Wälder und allem, was geheimnisvoll mächtig ist. Er heißt Allvater (nord. Alföður), weil er der Vater der Götter und unser mythischer Urahn und Stammesgott ist, dessen Wesen wir eng verwandt sind. Er kennt und erfüllt das Schicksal der Menschen. Daher ist er auch der Gott des Todes, der unser aller Schicksal ist, der Führer der Totengeister und der Beherrscher des Krieges.
 

Durch seine geistige Überlegenheit als Schamane oder Druide ist Odin der höchste Gott und heißt "der Hohe" (Hár) oder einfach "der Ase" (hinn Áss). In seiner Souveränität ist er Geist, Wille und Weihe. Deshalb verehrten ihn unsere Vorfahren auch als Dreiheit – Odin, Vili und Vé. Andere Namen sind Odin, Hönir und Lodur. Die Dreiheit ist eine druidische Vision, die Einheit und Vielfalt einer Gottheit zugleich erhellt. Die Mutter Erde erschien den Druiden ebenfalls als Dreiheit.
 

Geburt und mythische Gestalt Odins
 

Im Mythos sind Odin, Vili und Vé bildhaft Drillinge, die ersten Götter, die als Söhne des Burr, dessen Vater aus dem Ur-Eis wuchs, und der Jötentochter Bestla geboren wurden. Nachdem die Drillinge die Welt geordnet und die Menschen beseelt haben, ist nur noch von Odin allein die Rede.
 

Odin ist von schöner, eindrucksvoller Gestalt, aber einäugig, weil er ein Auge geopfert hat, um aus der Quelle Mimirs Weisheit trinken zu können. Wenn er durch die Welt wandert, verbirgt er sein leeres Auge unter einem breitkrempigen Hut und ist in einen blauen Mantel geleidet. Er reitet den achtbeinigen Hengst Sleipnir und wird von zwei Wölfen, Geri und Freki, und zwei Raben, Huginn und Muninn, begleitet. Die Raben fliegen täglich durch die Welt und bringen ihm Nachrichten.
 

Odins Wohnort in Asgard heißt Hliðskjálf (offener Turm) oder Glaðsheimur (Freudenheim). Hliðskjálf wird auch Odins Thron genannt. Von dort blickt er in die ganze Welt. Odin besitzt den Speer Gungnir, der nie sein Ziel verfehlt, und den Ring Draupnir, der sich in jeder neunten Nacht verneunfacht. Sein Gefolge sind 13 Geisterkriegerinnen, die Walküren (Valkyrjar), und die Seelen der gefallenen Krieger, die Einherier, die in Valhall wohnen.
 

Mit allen diesen Details haben die Dichter Odins Gestalt ausgeschmückt, um den Zuhörern ein Bild seiner Größe und Macht zu vermitteln, wie es der Kultur der Wikingerzeit entsprach. Sie sind aber nicht nur poetische Mittel, sondern auch Symbole: Mantel und Hut sind magische Verhüllungen, die das Geheimnisvolle ausdrücken, der Speer ein magisches Instrument, die Neunzahl der Ringe Odins ein Symbol der Ganzheit, die Tiere alte Totems und schamanische Krafttiere, die Einäugigkeit Odins ein Hinweis auf das "innere Sehen” mit dem "Geistauge” (hugauga), die Walküren Geister des Schicksals, da sie auswählen, wer sterben soll, und Valhall ein Teil von Odins Aspekt als Totengott, der aber oft mißverstanden wird.
 

Der falsche Ruf Odins als Gott von Kampf und Krieg
 

Häufig liest man, die Vikinger hätten Odin als Gott von Kampf und Krieg verehrt. Das ist nicht richtig. Sie verehrten ihn – wie alle anderen Germanen auch – als Gott des Geistes und der Magie, als Schicksals- und Totengott und vor allem als höchsten Gott, der die Entscheidung über Krieg und Frieden trifft, Sieg und Niederlage bestimmt und damit Leben und Tod der Krieger in Händen hält. Es ist nur natürlich, daß die Wikingerkrieger diese Aspekte, die sie persönlich am meisten betrafen, besonders betonten. Doch auch in ihrer Sicht ist Odins Bereich nicht der Krieg als solcher, sondern das Schicksal, das sich im Krieg erfüllt – aber ebenso in anderen schicksalhaften Ereignissen. So ist Odin auch nicht nur der Gott der Gefallenen in Valhall, sondern allgemein der Totenführer, wie es der ältere Mythos der Wilden Jagd ausdrückt, in der alle Totengeister unter Führung Odins durch die Nacht reiten.
 

Odins Frauen und Kinder
 

In der poetischen Mythologie, die die Götter zum besseren Verständnis in den Begriffen der menschlichen Gesellschaft darstellt, haben sie Ehegatten und Kinder wie wir, doch diese Familienverhältnisse sind nur Bilder für Beziehungen, Wesensverwandtschaften und manchmal (wie in der Dreiheit) innere Vielfalten, die nie die ganze Wahrheit ausdrücken können. Man kann sie daher auch nicht mit menschlichen Sitten messen. Das gilt besonders für die Ehen der Götter. Odin ist verheiratet, hat aber – ähnlich wie der griechische Zeus und viele andere Götter – auch Beziehungen und Kinder mit anderen Frauen. Das hat seinen Grund in den verschiedenen Charakteren dieser Kinder, die mythisch als verschiedene Abstammungen dargestellt werden, und im eigenen Sinn jeder dieser Beziehungen.
 

Odin und Frigg – Oðr und Freyja
 

Die mythische Ehefrau Odins ist Frigg, deren altdeutscher Name Frija mit dem nordischen der Vanengöttin Freyja identisch ist. Auch in der Edda wird Frigg mit Freyja identifiziert. Beide Namen bedeuten "Frau" (im selben Sinn wie "Herr") oder "Geliebte" (vgl. "freien") und weisen Frigg und Freyja als verschiedene Personen der in allen heidnischen Religionen verehrten Großen Göttin mit den vielen Namen, der Mutter der Götter und Menschen, aus.
 

Manche sagen, es gibt nur eine Große Göttin, die sich aber in zahlreichen Gestalten zeigt, weil ihr Wesen so viele verschiedene Aspekte hat. Frigg verkörpert das Wesen der Mutter und Ehefrau, wird als Beschützerin der Frauen und der Ehe verehrt und ist überhaupt eine Göttin der Ordnung, besonders natürlich der Familien- und Sippenordnung, und der Verträge und Eide. Damit ist sie auch die Große Göttin der kosmischen Ordnung, die sich im Sonnenlauf zeigt – Sunna heißt im Merseburger Zauberspruch eine ihrer Schwestern, zusammen mit Volla (Fülle) und Sinthgunt (Nachtwandlerin, d.h. Mond). Sie ist keine Sonnengöttin, aber die Göttin, der die Sonne heilig ist. Frigg und Odin sind die Eltern Baldurs.
 

Freyja ist die jugendliche Göttin der Liebe, Sexualität und Fruchtbarkeit. Ihr mythischer Gatte Oðr ("Geist") ist, wenn sie mit Frigg identisch ist, Odin in seiner Jugendgestalt: der noch reifende, suchende Geist, von dem daher auch erzählt wird, daß er fortging und von Freyja überall gesucht wurde. Aus den Tränen, die sie um ihn weinte, ist der Bernstein entstanden. Als Liebesgöttin im unmittelbaren, rein erotischen Sinn kümmert sich Freyja nicht um soziale Beziehungen und Ehebande. Sie ist auch eine Göttin der Weisen Frauen und hat die Asen (d.h. Odin) die magischen Künste der Vanen gelehrt.
 

Odin der Allvater
 

Der traditionelle Titel "Allvater" (nordisch Alföður) bedeute nicht nur, daß Odin der Vater der Götter ist – er ist vielmehr wie der griechische Zeus der "Vater der Götter und Menschen". Denn die heidnischen Naturreligionen wissen, daß wir, weil wir aus der heiligen und göttlichen Natur stammen, einen angeborenen Anteil am Göttlichen haben. Wir sind keine bloßen Geschöpfe, sondern Angehörige der Götter - von Geburt an und unabhängig davon, ob wir "gut" sind. Das gilt natürlich nicht nur für einige Privilegierte: eine "Herrenrasse" oder ein "auserwähltes Volk" gibt es nicht – alle Menschen stammen von ihren Göttern ab. Odin, der höchste, ist daher unser Allvater, in dem wir unseren Ursprung im Göttlichen verehren. Im gleichen Sinn nannten die Kelten den höchsten Gott Teutates, d.h. Stammesvater.
 

Unsere Vorfahren waren überzeugt davon, daß wir von Odin abstammen und daher seine Wesensart teilen, zumindest was den Kern, die Tiefe unseres Selbst betrifft. Wir mögen nicht viel mit Magie am Hut haben oder auch anderen Zügen Odins eher fernstehen. Vielleicht sind uns andere Götter, z.B. Thor oder Freyja, viel sympathischer. Daran ist nichts auszusetzen. Wir sind Angehörige aller Götter. Das gemeinsame Erbe Odins ist aber unser gemeinsamer Auftrag: nicht aufzuhören, nach Erkenntnis, Tiefe und Entfaltung unseres wahren Selbst zu streben. Dabei ist es wichtig, an Odins Selbstopfer zu denken. Er ist der Gott, der nicht bleibt, was er ist, der sich von Stufe zu Stufe wandelt, reift und überwindet. Er warnt uns vor falschen Gewißheiten und fordert uns heraus, jede "feste Burg" starren Glaubens zu zerstören. In einem Traum erschien dem Autor dieser Seite einmal Odur als Rebell gegen Odin: Er selber bekämpfte sich selbst, um im Geist jung und offen zu bleiben.

 

Odins Weg
 

Obwohl das Wesen Odins im Geist liegt, sind ihm Magie, Sehertum, Wissen und Weisheit nicht einfach in die Wiege gelegt worden. Die tiefere Einsicht des Heidentums ist, daß auch ein Gott nicht seit jeher vollkommen ist, sondern die Höhe seines Wesens erst erwerben, sich entfalten und durch Mühe und Opfer erkämpfen muß. Odins Weg zu Wissen und Weisheit, zu sich selbst, ist ein dreifacher: Er wird Seher, Dichter und Runenmeister. Dieser dreifache Weg steht über den magischen Künsten, die er einfach gelernt hat: Galdr, die Magie des Worts, und Seiðr, die Imaginations- und Verwandlungsmagie. Beide sind zu einem gewissen Grad erlernbare Techniken, deren Beherrschung noch keinen Weisen macht.
 

Odin erwirbt Sehertum
 

Das ist die Geschichte von Odin und Mimir, dem weisen Riesen, der am Fuß des Weltbaums Yggdrasil wohnte. Dort hütete Mimir eine Quelle, deren Wasser Weisheit und Sehertum schenkt. Sie ist die Quelle der Erinnerung, denn im Namen Mimirs steckt dieselbe Wortwurzel wie in memory. Die Weisheit beginnt also mit der Erinnerung an das Wissen der Vorfahren, d.h. nicht mit Lernen allein. Es muß ins Tiefenbewußtsein vorgedrungen sein und aus ihm heraus – von innen – verstanden werden, so als hätte man alles schon früher einmal gewußt und erinnert sich nun daran. Das ist nicht leicht. Um aus der Quelle Mimirs trinken zu dürfen, muß Odin ein Auge opfern und heißt seither "der Blinde". Physische Blindheit ist ein Symbol für das "innere Sehen"; aus dem Tiefenbewußtsein. Mimir wird später im Krieg zwischen Asen und Vanen getötet, es gelingt Odin aber, seinen Kopf am Leben zu erhalten. Der Kopf des weisen Riesen gibt ihm auch weiterhin guten Rat. Daß es eine Quelle ist, aus der Odin sein Sehertum erlangt, hat ebenfalls eine tiefere Bedeutung. Wasser deutet nicht nur auf das Tiefenbewußtsein hin, es kann auch reden. Quellheiligtümer sind daher oft auch Orakelstätten.
 

Odin erwirbt den Dichtermet
 

Die Dichtung ist im Heidentum eine heilige Kunst, die mit dem Sehertum, dem Galdr und der Zeichenmagie verwandt ist. Die Dichter, die von Odin inspiriert werden, empfangen Visionen, die keine Phantasie, sondern höhere Wahrheit sind. Daher gaben die keltischen Druiden ihr Wissen ausschließlich in Gedichten weiter, die auch nicht aufgeschrieben, sondern stets nur mündlich, im magischen Sprechgesang, vorgetragen wurden – nur das lebendige Wort sagt die ganze Wahrheit. In druidischen Begriffen erreicht Odin mit der Dichtkunst den Grad des Barden, nachdem er – anders als bei den Kelten – zuerst den Sehergrad, Ovate, erreicht hat.
 

Die Reihenfolge ergibt sich aus der Rolle Mimirs. Als Odin Dichter wird, ist Mimir nämlich bereits von den Vanen getötet worden. Beim Friedensschluß der Götterstämme wurde aber ein anderes Wesen geschaffen, ein Mann mit Namen Kvasir. Asen und Vanen ließen ihn aus ihrem gemeinsamen Speichel entstehen, d.h. aus der "Substanz” der Sprache und damit der gebündelten Weisheit beider Götterstämme. Doch zwei Schwarzalben, die ihm seine Weisheit neideten, töteten Kvasir und brauten aus seinem Blut den Met, der Odrörir (Geisterwecker) hieß. Der Met, in dem der Geist Kvasirs weiterlebte, kam in den Besitz des Jöten Suttungur. Dessen Tochter Gunnlöd hütete ihn im Inneren eines Berges. Um ihn zu erwerben, muß Odin – weil ein so hohes Ziel männliche und weibliche Kräfte erfordert – einen alten Einweihungsweg agrarischer Göttin- Mysterien beschreiten. Es sind Mysterien der Erde. Als Bauer erntet er, muß dabei die Korngeister töten, dringt weiter in die Erde vor, indem er ein Loch in Gunnlöds Berg bohrt, und wird durch eine magische Geist- Verwandlung selbst zum Erdgeist, verkörpert als Schlange, in deren Gestalt er durch das Loch kriecht. Im Berg schließlich weiht ihn Gunnlöd ein. Er verbringt drei Nächte mit ihr und darf dreimal von Odrörir trinken. Mit jedem Schluck trinkt er ein Drittel des Mets. Dann verwandelt er sich in einen Adler und fliegt nach Asgard zurück. Odins Einweihung in die Dichtkunst ist nach Art der Göttin-Mysterien also eine Heilige Hochzeit – ein Transformationsritus, der männliche und weibliche Kräfte vereint und Männer an der Heiligkeit der Großen Göttin teilhaben läßt. Der Kaiser von Japan wird durch die Hochzeit mit der Sonnengöttin zum Gott, Odin durch die Hochzeit mit Gunnlöd zum Dichter.
 

Odin findet die Runen
 

Die höchste Einweihung erfährt Odin durch die Runen, die er nur finden kann, indem er sich selbst opfert, stirbt und wiedergeboren wird. Deshalb heißt er "Gott der Gehenkten" (Hangatýr). Er muß sich am Weltbaum erhängen und mit dem Speer verwunden, neun Nächte lang hängen bleiben und ohne Essen und Trinken ausharren, bis er herabfällt und auf der Erde die Runen findet. So erzählt es die Edda in Odins Runenlied und nennt die Zauberlieder, die er nun kennt. Er hat den höchsten Grad des Druidentums erworben und vereint alle drei in sich.
 

Die Runen sind zwar auch eine Buchstabenschrift, aber vor allem magische und divinatorische (in der Weissagung verwendete) Symbole, von denen jedes einen Namen und vielfältige Bedeutungen hat. Runen können als Orakel, zum Heilen, Anrufen von Gottheiten, Erlangen und Bannen von Kräften, Verwünschen, Schützen, Weihen und vieles mehr verwendet werden. Sie sind ein Alphabet höherer Erkenntnis, das alle Geheimnisse Odins in sich birgt. Diese höchste Runenweihe – jenseits der einfachen Runenarbeit, die jeder lernen kann – erfordert einen Reifegrad schamanischer Entwicklung, der eine völlige geistige Transformation bedeutet. Odin erreicht sie durch sein Selbstopfer am Weltbaum.
 

Dieses Selbstopfer wurde von manchen Mythologen mit der christlichen Kreuzeslegende verglichen, doch es ist etwas ganz anderes. Der Charakter des Sühneopfers, der wesentlich für die christliche Legende ist, fehlt ihm völlig, es dient ausschließlich der Erlangung der Runenweisheit und ist daher – nicht unähnlich dem Lakota-Ritual des Sonnentanzes – ein reiner Akt der Einweihung und Transformation. Das ist der tiefere Sinn dieses und jedes anderen wahren Opfers. In ihm wird eine bestehende Existenzform überwunden und in eine neue, höhere umgeformt. Tod und Wiedergeburt Odins als Gott der Runen bedeuten die Vollendung seines Wesen. Der "alte" Odin, der sich erst entwickeln und reifen mußte, ist gestorben. Er hat, wie es in der Edda heißt, sich selber sich selbst geopfert: sein altes Ich überwunden, damit sich sein ganzes Selbst zu voller Reife entfalten kann.
 

Thor
 

Thor (altgerm. Donar, altengl. Thunaer, nord. Schreibung Þórr) ist der Sohn Odins und der Mutter Erde, die in der Edda Jörd, Fjörgyn oder Hlodyn heißt. Er ist der stärkste und mutigste der Asen und hat die Aufgabe, Götter und Menschen vor allen zerstörerischen und finsteren, lebensfeindlichen Kräften zu beschützen. Er ist von zuverlässigem, geradlinigem Charakter, hilfsbereit für seine Freunde und zornig gegen seine Feinde, die vor allem die Thursen sind, wie diejenigen unter den Urwesen vom Stamm der Jöten genannt werden, die den Göttern feindlich gesinnt sind und Schaden auf der Welt anrichten. Viele Mythen der Edda erzählen von seinen Kämpfen gegen sie.
 

Thors Gestalt im Mythos
 

Thors schützende Kraft zeigt sich in der Natur in der Gewalt von Blitz und Donner. Sein heiliger Baum ist die Eiche, sein Tier der Ziegenbock. Im Mythos fährt er auf seinem Streitwagen, der von zwei Böcken gezogen wird, gegen seine Feinde. Als Gott der sozialen Schutzfunktion (Krieger) beschreiben ihn die Dichter so, wie man sich einen Vikingerkrieger vorstellt: groß, kräftig gebaut und mit dichtem rotem Bart. Er hat funkelnde Augen, die seinen Feinden Angst machen, eine laute Stimme und kann Unmengen essen und trinken.
 

Thors Waffe und ist ein Hammer, der Mjöllnir heißt und von Alben geschmiedet wurde. Wenn er ihn nach seinen Feinden wirft, kehrt er wie ein Boomerang wieder in seine Hand zurück. Mit seinem Hammer kämpft Thor aber nicht nur, sondern weiht damit auch alles, was schützenswert ist, z.B. die Ehepaare bei der Hochzeit, den Spruch des Richters, das Trankopfer oder die Runen, die man ritzt. Er heißt Véorr, Beschützer, Vingþórr oder Vingnir, Weihender, und Ása-Þórr, weil er zur Asenfamilie gehört.
 

Thors Wohnort in Asgard heißt Thrudheim (Kraftheim) und seine Halle dort heißt Bilskirnir. Seine Gattin ist Sif (Sippe), seine Söhne sind Magni (Starker) und Modi (Zorniger), seine Tochter Thrudur (Kraft) und sein Ziehsohn der Wintergott Ullr. Auf seinen Fahrten wird Thor von den Bauernkindern Thjálfi und Röskva begleitet, oft auch von Loki, der ihn mit trickreichen Einfällen unterstützt.
 

Der Sohn der Erde
 

Die älteste Darstellung Thors, eine bronzezeitliche Felszeichnung aus Schweden, zeigt ihn als bockshörnigen, zwei Hämmer schwingenden Gott der Fruchtbarkeit oder besser der Männlichkeit. Als Sohn der Erde hat Thor am lebensspendenden Wesen seiner Mutter ebenso Anteil wie am magischen Geist seines Vaters Odin, der sich in der schamanischen Tiermaske zeigt. Der Name seiner Frau Sif und die Verwendung seines Hammers zur Weihe der Ehepaare weisen darauf hin, daß Thor eng mit dem Fortbestand der Sippe verbunden ist. Da seine Naturmanifestation Gewitter und Regen sind, spendet er auch den Feldern und Weiden Wachstum.
 

Deshalb – und natürlich als Beschützer des Lebens, der Haus und Hof, Familie, Tiere und Felder vor Schaden bewahrt – ist Thor ein Gott der Bauern, die ihn stets ganz besonders verehrten. Vielen steht er persönlich näher als Odin. In der Vikingerzeit galt Odin als Gott der Krieger, Anführer und Dichter, Thor aber als Gott des Volkes.
 

Fulltrúi – der vertraute Freund
 

Einen Gott, dem sich jemand besonders verbunden fühlte, nannte man in der Vikingerzeit fulltrúi, "vertrauter Freund" oder "einer, dem man voll und ganz trauen kann". Diese Funktion erfüllte für die meisten Nordleute Thor. Er war es, an den sie sich in ihren täglichen Sorgen wandten, den sie um Hilfe und Schutz anriefen und dessen Vorbild ihnen die innere Kraft gab, sich wie er gegen die Bedrohungen ihres Daseins zu behaupten.
 

Diese Vorbildwirkung eines Gottes ist besonders wichtig, denn die Götter wollen als innere Kräfte der Welt und des Menschengeistes nicht wie ferne Mächte angebetet, sondern in uns verwirklicht werden. Es hat daher keinen Sinn, sich einem starken Gott mit schwächlichen Demutsgesten zu nahen. Er würde dich gar nicht zur Kenntnis nehmen bzw. du würdest ihn, wenn er es täte, gar nicht begreifen. Deshalb mußt du der Gottheit, die du anrufst, ähnlich werden, so gut du kannst, um gewissermaßen auf gleicher Wellenlänge überhaupt mit ihr kommunizieren zu können.
 

Da die meisten Vikinger Thor ähnlich sein wollten, wurden auch viele von ihren Eltern nach Thor genannt, z.B. Thorsteinn, Thorbjörn, Thorvaldur usw. Auch Frauen hatten oft Thorsnamen wie Thorgerdur oder Thordis. Verbreitet war der Brauch, Darstellungen Thors oder sein Symbol, den Hammer, in die Stützbalken der Häuser zu schnitzen. Die Besiedler Islands brachen zumeist ihre alten Häuser ab und nahmen sie in die neue Heimat mit. Sobald ihre Schiffe in auflandige Strömung kamen, warfen sie die Stützbalken mit Thors Bild über Bord. Dann beobachteten sie, wohin die Strömung die Balken trieb, und siedelten sich dort an, "wo Thor an Land gegangen war."
 

Der komplexe Geist Thors
 

Über Thor gibt es eine große Zahl von Mythen, deren gemeinsames Motiv die Fahrten Thors gegen gefährliche Feinde der Götter ist. Oberflächlich gesehen, gleichen sie heroischen Abenteuergeschichten, bei näherem Hinsehen lassen sie aber eine sehr tiefgründige Symbolik erkennen. Im Mythos vom Riesenbaumeister spielt Thor auch eine tragische Rolle von universaler Tragweite. Nicht zuletzt gehört er wie Odin und Tyr zu den verletzten Göttern: Seit seinem Kampf mit Hrungnir steckt ein Stück von dessen Waffe, einem Wetzstein, in Thors Kopf – diese Verletzungen zeigen, daß auch die Götter erst durch Kampf und Mühen, von denen ihnen auch Narben blieben, zu dem wurden, was sie sind.
 

Aus dem allem wird klar, daß Thor keineswegs eine so einfache, auf rohe Kraft und kämpferische Schutzfunktion beschränkte Gestalt ist, wie ihn manche gern sehen würden. Hinter seinen Kämpfen und Fahrten steht ein komplexer und tiefgründiger Geist, der immer unterwegs ist, forschend und Erfahrung sammelnd, auf der stetigen Suche nach Entwicklung und höherer Entfaltung seines Wesens. Das ist ja der Sinn des Reise-Motivs in den Mythen: die Reise zum Selbst, auf der zahlreiche Gefahren, Umwege und Irrwege lauern.
 

Es stimmt also nicht, daß Thors Weg weniger geistvoll wäre als der Odins. Er mag beschwerlicher sein, weil Thor durch die Flüsse waten muß, über die Odin auf der Brücke reiten kann. Vielleicht ist er aber eben deshalb auch der sicherere Weg. Man bleibt auf der Erde.
 

Die Verehrung Thors
 

Thor ruft man in allen Dingen an, bei denen man göttlichen Schutz braucht und selbst stark und durchsetzungsfähig sein muß, aber auch als Weihegott, wenn man Runen, Kultplätze, Menschen und Tiere, die Felder oder wichtige Handlungen weihen, d.h. mit göttlicher Kraft laden und vor schädlichen Einflüssen schützen will. Dazu macht man das Hammerzeichen, indem man ein auf dem Kopf stehendes T in die Luft oder über die Dinge zeichnet, die man weihen will. In dieser Form zeigt der Hammer, ebenso wie bei den Thorshämmern, die wir als Amulette und Erkennungszeichen tragen, als Ausdruck der friedlichen Absicht mit dem Eisen nach unten.
 

Der Schutzgott des Heidentums
 

Diese Thorshämmer sind alte Schutzamulette, waren aber schon in der Vikingerzeit, als Gegensymbol zum Christenkreuz, das Erkennungszeichen der Heiden und somit ein Symbol bewußten Heidentums. In dieser Zeit wurden viele Krieger, die Odin verehrt hatten, Gefolgsleute der christlichen Könige und nahmen die fremde Religion ihrer Chefs an. Der Widerstand gegen Zentralherrschaft und Zwangsmission – für die angestammte Religion und ihre demokratische Sippenordnung – ging von den Bauern aus, die Thor verehrten. So wurde die Verehrung Thors von den Königen am brutalsten verfolgt, konnte sich aber dennoch lange behaupten. Es wird auch erzählt, daß Thor dem norwegischen König Olaf auf seinem Schiff erschien und ihn zur Rede stellte. Dann sprang er ins Meer, ohne Rache zu üben.
 

Diesen schützenden, aber friedfertigen, hilfreichen Gott, der uns mit Kraft und Stärke erfüllt, verehren wir auch als Schutzgott unserer Religion.
 

Thors Fahrten
 

Thor besiegt Hrungnir
 

Von den zahlreichen Kämpfen Thors gegen Thursen ist der gegen Hrungnir der berühmteste. Hrungnir war der stärkste unter den Thursen und hatte ein Herz aus Stein, das wie das Kraftsymbol aussah, das "Hrungnirs Herz" heißt (Bild). Einmal traf Odin auf ihn, und Hrungnir, dessen Pferd Gullfaxi das schnellste in Jötunheim war, forderte ihn zu einem Rennen auf. Sie ritten, bis sie nach Asgard kamen. Dort prahlte Hrungnir mit seiner Kraft und drohte, er würde alle Götter töten, bis Thor kam und ihn zum Zweikampf forderte.

 

Dieser Kampf wurde mit einem einzigen Wurf entschieden. Hrungnir hatte als Waffe einen gewaltigen Wetzstein, den er gegen Thor warf, und der Gott warf gleichzeitig seinen Hammer. In der Luft trafen sie sich, der Wetzstein zersprang, der Hammer aber flog weiter und zertrümmerte Hrungnirs Kopf. Ein Stück des Wetzsteins traf jedoch Thors Kopf und drang so fest in ihn ein, daß er nicht mehr zu lösen war.
 

Der verletzte Gott
 

Wie Odin, der auf der Suche nach Weisheit ein Auge verlor, und Tyr, der bei der Fesselung des Fenriswolfs eine Hand einbüßte, ist auch Thor verletzt. Er trägt die Spur eines entscheidenden Kampfes, den Steinsplitter in seinem Kopf, immer an sich. Damit machten unsere Seher und Mythendichter ihren Zuhörern bewußt, daß auch ein Gott nicht seit jeher vollkommen ist, sondern sein ganzes Selbst erst durch Mühen und Opfer erlangen muß, die sich in solchen Spuren niedergeschlagen haben. An ihnen werden, wie an den Falten und Narben der Menschen, Erfahrung und Reifung sichtbar, die einen Gott erst zu dem machen, was er ist.
 

Thor ist ein Kämpfer und trägt natürlich die Spur einer Kampferfahrung. Sie ist aber zugleich mehr, denn Wetzsteine wurden aus jenen Meteoriten oder Lavasteinen gemacht, die man auch Donnerkeile nannte, weil man glaubte, sie wären durch Blitzeinschläge entstanden. Hrungnirs Waffe steht also mit Thors eigenem Naturbereich in Verbindung, er kämpft im Grund – im Kampf gegen den stärksten Thursen – gegen die zerstörerische, dunkle Seite seiner eigenen Kraft und seines eigenen Wesens. Erst indem er sich diesem Kampf offen stellt, mythisch in der Form des fairen Zweikampfs, wird er ganz Herr seiner eigenen Kraft.
 

Thors Fahrt gegen Geirrödur
 

Die Auseinandersetzung mit der "anderen Seite", diesmal in mehr als nur einer Form, spielt auch bei Thors Fahrt gegen Geirrödur eine wichtige Rolle. Daß es dabei um das innere Wesen Thors geht, erkennt man daran, daß er ohne sein äußeres Hilfsmittel, den Hammer, losziehen muß. Das kam daher, daß Loki, Odins Blutsbruder, von Geirrödur gefangen wurde und Mjöllnir stahl, um ihn dem Thursen als Lösegeld zu geben. Wieder frei, begleitete er Thor zu Geirrödur, um den Hammer zurückzuholen.
 

Auf dem Weg dorthin suchten sie Gridur auf, eine Weise Frau vom Stamm der Jöten. Mit ihr zeugte Odin den schweigsamen Vidar, dem bestimmt ist, nach der Götterdämmerung seinen Vater zu rächen. Von Gridur erhielt Thor einen Kraftgürtel, Eisenhandschuhe und den Stab Gridarvölur, einen Stab, wie ihn eine Seherin (nord. völva) hat. So lernt Thor, der die Jöten sonst als Feinde (Thursen) bekämpft, zum einen die positive Seite ihres Wesens als Urkräfte kennen, zum anderen aber auch die Magie der Weisen Frauen, d.h. die weibliche Seite der Göttlichkeit.
 

Nur dadurch gelingt es ihm, der "anderen Seite" der weiblichen Magie zu widerstehen, dem Schadenzauber, den Geirröds Töchter ausüben. Die eine läßt den Fluß Vimur anschwellen, den Thor durchwaten muß, doch er kann sich mit dem Stab Gridarvölur retten. In Geirröds Halle schließlich stemmen sich beide unter den Stuhl, auf dem Thor Platz nimmt, und versuchen ihn an der Decke zu erdrücken, doch er stemmt den Stab dagegen und bricht beiden den Rücken. Nun wirft Geirrödur selbst ein glühendes Eisenstück nach ihm, das Thor mit den Eisenhandschuhen, die ihm Gridur gegeben hat, auffängt und zurückschleudert. Es fährt durch eine eiserne Säule, durchbohrt Geirrödur und dringt tief in die Erde ein.
 

Ein Schlüsselmotiv, das diesen Mythos als Reise Thors zum eigenen Selbst, als Einweihungsweg, erkennen läßt, ist das Durchwaten des Flusses. Thor kann wegen seiner gewaltigen Schritte als einziger Gott die Brücke Bifröst nicht benutzen, die von Midgard nach Asgard führt, also auch als Pfad der Einweihung zu verstehen ist. Thor muß durch die Eisflüsse waten. Sein Weg ist beschwerlicher, der Krieger muß sich den Zugang zur höheren Weisheit härter erkämpfen als der Magier oder Dichter. Er kommt aber genauso an. Den Fluß Vimur kann Thor jedoch nur überqueren, weil er den Stab der Seherin hat. Als starker Sohn der Erde und Beschützer seiner Familie das Urbild der Männlichkeit, bedarf er – und gerade er – weiblicher Kräfte, d.h. der "anderen Seite" des eigenen Selbst, die in uns allen ist. Noch hat er sie freilich nicht wirklich in sich integriert. Er nimmt mit den Geschenken der Weisen Frau zunächst nur ihre Hilfe in Anspruch.
 

Der Raub des Hammers
 

Eines Morgens wacht Thor auf und vermißt seinen Hammer. Loki, dem er davon berichtet, leiht von Freyja ihr Falkengewand, sucht nach dem Hammer und findet schließlich den Thursen Thrymur, der prahlt, er habe ihn gestohlen. Wenn die Götter die Waffe Thors und mit ihr ihren Schutz zurückhaben wollten, müßten sie ihm Freyja zur Frau geben. Natürlich weigert sie sich, aber Loki weiß eine List: Thor selbst müsse sich in Freyjas Kleidern als Braut zu Thrymur begeben und sehen, wie er dort seinen Hammer wiederbekäme. Zwar fürchtet Thor, in der Verkleidung lächerlich zu wirken, doch die Götter überreden ihn, den Plan zu befolgen.
 

Mit Loki, der sich als Magd verkleidet, reist Thor, den Bart unter dem Brautschleier verborgen, an Thryms Hof und schreckt den Thursen schon beim Willkommensmahl dadurch, daß er allein einen Ochsen und acht Lachse verspeist. Als Thrymur die vermeintliche Braut küssen will, schreckt er vor dem funkelnden Blick Thors zurück. Loki redet dem Thursen ein, Freyja habe aus Sehnsucht nach ihm tagelang nichts gegessen, und ihre Augen würden vor Verlangen brennen. Da holt Thrymur Thors Hammer, um die Braut zu weihen. Thor ergreift seine Waffe und erschlägt den Thursen.
 

Die Integration der "anderen Seite"
 

Dieser Mythos ist sehr klar und, obwohl er im Eddalied "Þrymskvida" mit kunstvollen Wortspielen und volkstümlich lustig erzählt wird, sehr ernst und bedeutungsvoll. Die Hammerlosigkeit Thors zeigt wiederum, daß es um die innere Entwicklung seines Wesens geht, und die Verkleidung als Frau sagt eindeutig, welche Stufe dieser Entwicklung gemeint ist: Thor muß jetzt die "andere Seite", die er im Kampf gegen Geirrödur kennengelernt hat, als Teil seines Wesens anerkennen und bewußt entwickeln, psychologisch gesprochen: den auch im Mann vorhandenen weiblichen Wesensanteil, die Anima, in sein Selbst integrieren.
 

In unserer Mythologie ist es immer erst die Polarität, man kann auch sagen: die Vereinigung der Gegensätze, in der sich die Ganzheit ergibt. Die Verkleidung ist ein schamanischer Ritus. Wie sich der Schamane mit Tiermasken geistig mit diesen Tieren identifiziert und in sie verwandelt, wird Thor während des Einweihungsritus im Geist zur Frau, befreit seine Anima – und ist eben dadurch mehr denn je fähig, als ganzer Mann zu handeln.
 

Thors größter Kampf
 

Die Kämpfe, die Thor gegen das Thursenvolk führt, sind zwar schwierig, es ist aber kein Gegner dabei, den Thor nicht besiegen könnte. Nur einen Feind gibt es, der ihm überlegen ist, und das ist die Midgardschlange, die auch Jörmungand heißt und rund um die Welt im Meer liegt. Sie ist, wie der Wolf Fenrir, der in der Götterdämmerung gegen Odin kämpfen und ihn töten wird, ein Kind Lokis, das er mit der Thursin Angurboda ("Angstbringerin") gezeugt hat – ein Ungeheuer, das die ganze Fülle der Gefahren und lebensfeindlichen Mächte verkörpert, die die lebendige, von den Göttern geordnete Welt, den Kosmos, bedrohen.
 

Dreimal tritt Thor gegen sie an. Zum ersten Mal kämpft er gegen sie auf seiner Fahrt zu Hymir. Das ist ein Eisriese des Nordens, der Ziehvater Tyrs, denn er heiratete die schöne Jötentochter, mit der Odin den Gott der Gerechtigkeit gezeugt hat. Tyr und Thor suchen ihn auf, um seinen berühmten Braukessel zu holen, den die Götter zum Brauen des Biers für ein großes Fest brauchen. Sie bleiben eine Weile zu Gast. Dabei nimmt Hymir Thor zum Fischfang mit. Als Köder nimmt Thor den Kopf des größten Ochsen aus Hymirs Herde, und er rudert bis ans Ende des Meeres, dorthin, wo die Midgardschlange liegt. Als sie anbeißt, muß sich Thor so fest gegen das Boot stemmen, daß er den Boden durchtritt. Er zieht gerade den Kopf der Schlange aus dem Wasser und will sie mit dem Hammer erschlagen, da kann Hymir seine Angst nicht mehr überwinden und kappt die Angelschnur. Die Schlange entkommt.
 

Aus Wut darüber gibt Thor Hymir eine so gewaltige Ohrfeige, daß er ins Meer fällt, rettet ihn aber wieder und verlangt den Kessel. Hymir will aber zuerst eine Kraftprobe, die in Wirklichkeit eine magische Probe ist. Thor soll versuchen, Hymirs Glasbecher zu zerschlagen. Er wirft ihn zuerst gegen eine Steinsäule, doch die Säule zerbricht. Da rät ihm Tyrs Mutter, den Becher an Hymirs Kopf zu werfen. Dort, am Ursprung seiner magischen Kraft, zerbricht der Becher, und Hymir gibt den Braukessel her, der so groß und schwer ist, daß nur Thor ihn tragen kann.
 

Dieser Kessel ist natürlich kein gewöhnliches Küchengerät. Da in ihm der Opfertrank gebraut wird, ist der Kessel seit der Bronzezeit ein bedeutendes, im Druidentum überhaupt das bedeutendste Ritualgerät. Wer die Magie des Kessels beherrscht, ist ein Weiser und Eingeweihter. Der Gewinn des Kessels durch Thor drückt also aus, daß er sein Wesen vollendet hat – auf seine Art, indem er sich der größten aller Bedrohungen, auch wenn er sie nicht endgültig besiegen kann, gestellt hat.
 

Thors Fahrt zum Utgard-Loki
 

Dieser Mythos macht in der Art, wie ihn Snorri Sturluson in der Jüngeren Edda erzählt, einen sehr märchenhaften Eindruck, der darauf zurückgeht, daß er eine symbolhafte Einweihungsgeschichte ist, in der eigentlich nicht Thor selbst gemeint ist, sondern jeder, der den spirituellen Weg Thors gehen will. Der Ursprung des Mythos liegt in einem alten Einweihungsritus.
 

Er beginnt daher auch mit einer rituellen Handlung, dem Opfer der Ziegenböcke, nach dem die Bauernkinder Thor begleiten. In der Edda ist es Thor selbst, der bei einem Bauern einkehrt und für das gemeinsame Abendessen seine beiden Böcke schlachtet. Am Morgen weiht er die Überreste mit dem Hammer, und die Böcke werden wieder lebendig. Nur einer lahmt, da die Bauernkinder einen Knochen gebrochen haben. Als Wiedergutmachung treten diese Kinder, Thjálfi und seine Schwester Röskva, in Thors Dienst und begleiten ihn seither.
 

Gemeinsam mit Loki reisen sie nun nach Utgard, der "Außenwelt" außerhalb des geordneten Kosmos, in der die Urkräfte des Chaos leben, um dort auf ihren Herrscher, den Utgard-Loki, zu treffen. Er trägt denselben Namen wie Odins Blutsbruder, denn er ist ein Schamane und Magier wie Odin, aber eben einer von der "dunklen Seite". In der Gestalt des Riesen Skrymir, dem sie unterwegs begegnet, täuscht er Thor: Dreimal schlägt der Gott mit dem Hammer nach ihm, doch jedesmal zieht er hohe Berge vor seinen Kopf und bleibt dadurch unverletzt. In seiner Halle fordert Utgard-Loki die Besucher zu drei Wettkämpfen auf: Loki muß sich mit einem Mann namens Logi im Essen messen, Thjálfi im Wettlaufen mit Hugi. Beide werden geschlagen. Thor selbst erhält drei Aufgaben: Er muß aus Utgard-Lokis Horn trinken und leert es nur zur Hälfte; er muß eine Katze hochheben und schafft es nicht; und er muß gegen eine alte Frau ringen und verliert.
 

Utgard-Loki erklärt, warum sie unterlagen: Logi war das Feuer, das alles verschlingt, Hugi der Gedanke, der schneller als alles ist. Das Horn, aus dem Thor trank, war mit dem Meer verbunden, die Katze war in Wirklichkeit die Midgardschlange (hier trifft Thor zum zweiten Mal auf sie) und die alte Frau das Alter selbst, das niemand besiegen kann. Kaum hat er das gesagt, verschwindet er samt seiner Halle.
 

Was Thor und seine Begleiter hier erfahren haben, gehört zu den zentralen Erfahrungen, die jeder wahre Einweihungsritus vermitteln muß: die Grenzen von Macht und Verstehbarkeit, die nicht nur den Menschen gesetzt sind, die einen spirituellen Weg nach dem Vorbild einer Gottheit gehen wollen, sondern auch der Gottheit selbst. Nicht einmal Thors Kraft ist grenzenlos. Er hat in die Berge tiefe Täler geschlagen und ins Meer die Ebbe getrunken, doch bezwingen konnte er sie ebensowenig wie die Midgardschlange und das Alter. Versagt hat er dennoch nicht. Er hat Unmögliches versucht. Worauf es ankommt, ist die Erfahrung, an die Grenzen zu gehen – "existenz-erhellende Grenzerfahrung", wie es die Philosophie nennt.
 

Thors Ende
 

Der dritte Kampf, den Thor gegen die Midgardschlange führen muß, wird auch sein letzter sein. Zweimal entkommt sie ihm, beim dritten Mal, in der Götterdämmerung, tötet er sie – und sie ihn. Nach einem gewaltigen Ringen trifft er sie mit seinem Hammer tödlich, doch im Kampf hat sie all ihr Gift über ihn gespien. Neun Schritte geht Thor von dem sterbenden Ungeheuer zurück, dann bricht auch er tot zusammen.

Tyr - Gott der Gerechtigkeit
 

Tyr - Gott der Gerechtigkeit
 

Außer Freyr, der unter dem altgermanischen Namen Ingwaz (nordisch Yngvi-Freyr) erscheint, und Odin, der nur allgemein als Ansuz (Asengott) genannt wird, ist Tyr der einzige Gott, nach dem eine Rune benannt ist. Die 17. Rune Teiwaz, der altgermanische Name Tyrs, steht sogar am Anfang des dritten Runengeschlechts (Ætt), das daher "Ætt von Teiwaz" heißt. Schon allein daraus läßt sich ersehen, daß Tyr, obwohl es in der Edda nur wenige Mythen über ihn gibt, ein überaus bedeutender Gott ist.
 

Sein Name (nordisch Týr, altgerm. außer Teiwaz auch Tiu oder Ziu) ist eines der germanischen Wörter für "Gott" im Sinne persönlicher Gottheiten (das Wort "Gott" selbst, goþ, ist ursprünglich sächlich Mehrzahl und bezeichnet das Göttliche an sich oder die Gesamtheit der Götter, nord. goð). Diesen Sinn hatte auch schon die indogermanische Wortwurzel *diw, von der u.a. griechisch theos und lateinisch deus und divus abgeleitet sind. Götter, deren Namen von diesem Wort abgeleitet sind, sind oft die höchsten Götter: Zeus (von *diw-eus) in Griechenland, Iupiter (Diu-piter) in Rom oder Dyaus im vedischen Indien. Alle diese Götter werden auch "Vater" genannt und sind Götter des Himmels und der himmlischen Naturkräfte, gehören also zum indogermanischen Ur-Götterpaar von Erdmutter und Himmelsvater.
 

Es ist daher nicht verwunderlich, daß auch bei einigen Germanenstämmen Tyr der höchste Gott war. Zwar sagt schon Tacitus über die Germanen ganz generell, daß sie "Mercurius" (Wodan/Odin) am meisten verehrten, doch noch im Frühmittelalter herrschte z.B. bei den Schwaben die Tyr-Verehrung vor oder war zumindest so stark ausgeprägt, daß dieser Stamm in einer lateinischen Glosse als "Ciuvari", Ziu-Verehrer, bezeichnet werden konnte. Auch die Sachsen gelten als besondere Freunde Tyrs, den manche Forscher mit ihrem Stammesgott Saxnot ("Sachsengenosse") gleichsetzen. Saxnot könnte auch ein Beiname Wodans sein, aber er wird auch neben Wodan und Thunaer (Donar/Thor) genannt. Ebenso verehrten die Friesen einen Stammesgott mit Namen Fosite, der mit Tyr identifiziert wird, denn dieser Name (nord. Forseti) bedeutet "Vorsitzender".
 

Tyr ist nämlich der "Mars Thingsus" lateinischer Weihesteine, mit denen ihn Germanen auf römischem Gebiet ehrten: der Gott des Things, das zugleich demokratische Rats- und Gerichtsversammlung ist. Tyr ist der Gott des Gerichts und der Beratungen, der Eide und Verträge, der Gerechtigkeit und der rechtmäßigen Ordnung. Diese Ordnung wird im Heidentum nicht als starr aufgefaßt wie in den autoritären Religionen, wo ein für allemal festgelegte göttliche Gesetze gelten, sondern entwickelt sich dynamisch zwischen den Rechtspartnern oder den Konfliktparteien. Tyr ist daher nicht nur der Gott, der Streitfälle schlichtet. Er sorgt auch dafür, daß Konflikte nach festen Regeln, die alle akzeptieren, ausgetragen werden können. Nur in diesem Sinn ist er auch ein Gott des Krieges ("Mars"), wenn ein Konflikt nicht anders geklärt werden kann – also kein wirklich "kriegslüsterner" Gott wie Mars/Ares, der deshalb bei den anderen Göttern unbeliebt ist. Er akzeptiert Kampf nur als Rechtsstreit und begünstigt alle Versuche, ihn zu begrenzen, z.B. durch den Brauch bei Germanen und Kelten, Schlachten durch Zweikämpfe der Heerführer zu ersetzen. In solchen Fällen, wie auch bei Streitfällen vor Gericht, kann man Tyr um Sieg anrufen.
 

Die Edda erzählt von Tyr, daß er ein Sohn Odins und einer Riesin ist, deren Name aber nicht genannt wird. Tyrs Mutter heiratete später den Riesen Hymir, von dem Tyr gemeinsam mit Thor den magischen Braukessel holt, den Hymir besitzt. Dabei kommt es zu Thors Kampf mit der Mitgardschlange, einem der Ungeheuer, die Loki mit der Thursin Angrboda gezeugt hat. Ein anderes dieser Ungeheuer, den Wolf Fenrir, bezwingt Tyr selbst, büßt dabei aber seinen rechten Arm ein: Die Götter wollen dem Wolf eine magische Fessel anlegen, doch er läßt das nur mit sich tun, wenn sie ihm schwören, ihn wieder zu befreien, und einer von ihnen seine Hand in seinen Rachen legt. Tyr, der Gott der Eide, ist dazu bereit, aber er weiß, daß er einen Meineid schwören muß - um die Welt vor dem Ungeheuer zu schützen, muß er gegen sein innerstes Wesen handeln und einen Teil von sich selbst opfern.

Die Walküren
 

Walküren waren ursprünglich finstere Kriegsgeister – schwarze Todesengel, die wie Raubvögel über den Schlachtfeldern schwebten und den Kämpfenden im Namen Odins ihr individuelles Schicksal zuteilten.
 

Auserwählte Helden wurden aufgehoben und nach Walhall gebracht, dem himmlischen Wohnsitz von Odins Geisterarmee.
 

In späteren nordischen Mythen werden die Walküren romantisch verklärt als Odins Schild Töchter – Jungfrauen mit goldenem Haar und schneeweißen Armen, die den auserwählten Helden im prachtvollen Walhall unendlich viel Met und Fleisch auftrugen.
 

Auf dem Schlachtfeld schwebten sie als liebliche Schwanentöchter oder herrliche berittenen Amazonen über dem Getümmel.
 

Diese wesendlich ansprechendere Darstellung wurde in der Wölsungen – Sage und dem Nibelungenlied weiterentwickelt, wo die Heldin, Brünhild oder Brunhild, eine wunderschöne gefallene Walküre war. Die idealisierten Walküren waren unendlich verletzlicher als ihre grimmigen Vorgänger und verliebten sich häufig in sterbliche Helden.
 

Vor allem die Schwanentöchter waren großer Gefahr ausgesetzt, da sie ohne ihr Gefieder auf der Erde leicht gefangen werden konnten.

 
 

Insgesamt waren schon 17300 Besucher (26419 Hits) hier!

 

 
Diese Webseite wurde kostenlos mit Homepage-Baukasten.de erstellt. Willst du auch eine eigene Webseite?
Gratis anmelden